Wir müssen keine Experten sein, um an politischen Diskussionen teilzunehmen

talktotheexperts.jpg

Politik ist die Gestaltung des gesellschaftlichen Raumes. Sie betrifft alle Menschen dieses Raumes, und in einer sinnvoll konzipierten Demokratie können sich möglichst viele Betroffene an dieser Gestaltung beteiligen.

Aus organisatorischen Gründen delegieren wir die operativen Tätigkeiten dieser Systemgestaltung an Repräsentanten, die wir direkt oder indirekt wählen. Das bedeutet aber nicht, dass wir uns deswegen aus den politischen Diskussionen, die die Herausforderungen der Gesellschaftsgestaltung begleiten, verabschieden sollen.

Solche Diskussionen sind wichtig um eine eigene Haltung oder Meinung zu entwickeln, bzw. diese laufend zu konkretisieren und zu verbessern.

Wir wissen, wenn wir mit einem neuen Thema konfrontiert werden, äusserst wenig. Doch bereits mit diesen wenigen Informationen werden wir, zum grossen Teil unbewusst, ein erstes Urteil entwickeln. 

Es ist wichtig, sich besonders bei politischen Fragen, das eigene innere Urteil bewusst zu machen und die eigenen Begründungen aufzuspüren, die zu diesem Urteil geführt haben. Wenn wir uns nicht darum kümmern, laufen wir Gefahr, unbewusst oder bewusst, einem nicht selbst begründeten Urteil, nennen wir es Vorurteil, entsprechend zu handeln oder zu sprechen.

Sobald wir beginnen unseren Urteilen auf den Grund zu gehen, sehen wir, dass wir in der Regel wenig Handfestes zu bieten haben, die unsere Meinungen stützen und doch brauchen wir eine solche um Entscheidungen treffen zu können.

Darum ist es sinnvoll, sich klar zu machen, dass jede eigene Meinung, immer nur eine vorläufige sein kann, die aber solange durch die eigene Begründung vertreten werden soll, bis sie durch bessere Argumente revidiert oder gar fallen gelassen werden muss. 

Diese Erkenntnis führt dazu, dass wir unsere Begründungen formulieren und diskutieren müssen. Nur auf diese Weise, kann sich unsere Beurteilung einer politischen Frage weiter entwickeln. Unser Urteil wird dadurch immer vielschichtiger und besser abgestützt. 

Nun ist es natürlich so, dass es Menschen gibt, die sich mit einem bestimmten Thema viel intensiver und länger auseinander gesetzt haben, als andere Menschen. Wir nennen sie Experten. Viele sind Experten in bestimmten Bereichen, aber immer wird sich wohl jemand finden, der einen Aspekt noch tiefer analysiert hat, und damit für den konkreten Fall der bessere Experte ist.  Und wir können davon ausgehen, dass wir für jedes politische Problem mehrere Experten finden werden.

Doch das ist kein Grund, die Diskussion diesen Experten zu überlassen und zu schweigen. Als Staatsbürger müssen wir zu den wichtigen politischen Fragen eine eigene Meinung entwickeln, sonst können wir nicht sinnvoll am demokratischen Prozess teilnehmen. Dabei können Experten durchaus hilfreich sein, indem sie Argumente liefern, die wir mit den unsern konfrontieren können, und indem sie Aspekte beleuchten, die wir noch nicht beachtet haben. Doch erst, in der eigenen Auseinandersetzung mit den Expertenmeinungen kann sich unser Urteil entwickeln und diese Auseinandersetzung geschieht durch Diskussion. 

Aus diesen Gründen darf, ja soll man seine vorläufige Haltung zu jedem Thema, und weiss man noch so wenig darüber, darlegen und zur Diskussion anbieten. Es bleibt dann jeder und jedem selbst überlassen, sich darauf einzulassen und daran mitzuwachsen. 

(Dieser Beitrag wurde ausgelöst durch den Punkt 5 des Blogposts "Das wars" von Philippe Wampfler. )

(Bild: CC-BY 2.0, "talk to the expers" by Mai Lee on Flickr )

Eine Rüge wegen Twitter, die nicht nur Journalisten betrifft.

Ein Journalist der SRG bekundet durch einen Tweet seine Sympathien für ein Kandidatur eines SP-Politikers und wird danach durch seinen Chefredaktor zurecht gewiesen, mit der Begründung, dass private Äusserungen immer auch in den Zusammenhang mit ihm als Berufsperson und damit auch mit seinem Arbeitgeber gebracht werden, was nicht erwünscht sei. Dieser Fall zeigt uns zwei problematische Haltungen, die in unserer Gesellschaft stark verankert sind.

 

  1. Ein Journalist hat objektiv zu sein.
  2. Ein Angestellter soll sich komplett der Organisationsdoktrin unterordnen und innerhalb der Organisation aufhören Individuum bzw. Mensch zu sein.

Der erste Punkt ist schnell erledigt. Es gibt keine Objektivität beim schreiben eines guten Textes. Es mag die Möglichkeit geben, sich selbst in kritischer Distanz zu üben, aber Objektivität im Sinne von Unvoreingenommenheit ist nicht einforderbar. Ein Journalist ist immer auch ein Mensch, der eine innere Haltung zu einem Thema entwickelt. Im besten Falle ist er sich dessen bewusst und analysiert seine eigene Situation und seine Standpunkte, aber er kann unmöglich "aus seiner Haut" schlüpfen und als seelenloses Wesen ohne persönlichen Bezug zum Inhalt einen guten Text schreiben. Es wäre darum viel besser, wir würden das akzeptieren und dafür von den Journalisten verlangen, dass sie transparent auf ihre eigene Haltung aufmerksam machen, so wie wir die Offenlegung von Interessenbindungen von politischen Akteuren erwarten. Damit würden die Vorwürfe der politischen Voreingenommenheit als Antwort auf einen Text keinen Sinn mehr machen, man könnte sich auf den Inhalt konzentrieren und Debatten führen, die uns weiterbringen.

Der zweite Punkt beinhaltet gewissermassen den ersten, geht aber noch viel weiter und betrifft nicht nur Medienschaffende, sondern auch Mitarbeitende der Behörden, Lehrerinnen und Lehrer, sowie Angestellte von grösseren Unternehmen, die unter einer gewissen öffentlichen Beobachtung stehen, sei dies, weil diese Unternehmen stark politisch reguliert werden, oder weil sie berühmte Marken besitzen oder verkörpern.

Alle diese Organisationen erwarten von Ihren Mitarbeitenden, dass sie sich auch im privaten Leben, im Sinne ihres Arbeitgebers verhalten. Das war schon immer so, und war schon immer problematisch, aber dadurch, dass in unserer Zeit durch Social Media, jeder und jede problemlos öffentliche Aufmerksamkeit auf sich ziehen kann, wird das Problem erst richtig sichtbar.

Die Grundlage dieses Übels beginnt bei der Unterscheidung zwischen dem privaten Menschen und dem professionellen Arbeitnehmer. Der professionelle Arbeitnehmer, so wird allgemein gefordert, soll in seinem Arbeitsumfeld alle seine privaten Eigenschaften ablegen (ausser denen natürlich, die dem Unternehmen nützen) und auf keinen Fall seine spirituellen, politischen oder gesellschaftlichen Ansichten mit in den Betrieb nehmen. So wird einem schnell gelehrt, dass auch bei Zusammenkünften, die eher dem privaten Leben entlehnt wurden, wie interne Abschiedsfeiern oder Begrüssungsapéros oder ganz allgemein Anlässe an welchem professionelle Arbeitnehmer in informellem Rahmen zusammenkommen, keine politischen Äusserungen erwünscht sind.

Ich bin der Meinung, dass das falsch ist, und dass es zur moralischen Bildung des Menschen gehört, möglichst oft mit anderen Meinungen auch zu kontroversen Themen konfrontiert zu werden. Weiterhin muss es so sein, dass Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen und Ansichten zusammenarbeiten und zusammenleben können müssen. Dass sollte aber nicht dadurch erreicht werden, indem der eigentliche Mensch, hinter einer "Maske des Haltungslosen" verschwindet, sondern dadurch, dass gegenseitiger Respekt bei gleichzeitiger Kritikfähigkeit gelebt wird. 

Bis vor kurzem, war das Problem des Anspruches auf die totale Unterordnung des eigenen Ichs meistens nur auf die Arbeits- bzw. Anwesensheitszeiten beschränkt. Einzig ein paar wenige prominente Angestellte, wie z.B. Exekutivmitglieder mussten auch aufpassen, was sie in ihrer Freizeit sagten und taten. Durch die Social Media sind nun plötzlich alle Betroffen, die auch einen Twitter oder Google+ Account haben oder gar einen Blog betreiben und gleichzeitig von einer Organisation Lohn beziehen.

Immer öfter wird gefordert, wie in dem hier eingangs geschilderten Fall, dass private Social Media Accounts auch im Sinne des Arbeitgebers zu nutzen sind. Für viele klingt das einleuchtend, doch sollten wir uns klar machen, dass damit gleichzeitig gefordert wird, dass das Individuum keine politische, spirituelle oder gesellschaftliche Haltung mehr zeigen darf, ja ganz allgemein nichts mehr äussern soll, was in irgendeiner Weise für irgendjemanden als kontrovers gelten könnte.

Das Individuum soll im Kollektiv verschwinden. Die öffentliche Diskussion der Social-Media-Bürger soll sich auf das Baby der brittischen Königsfamilie beschränken, aber nicht um Fragen kreisen wie etwa der was gut und was falsch ist oder wie wir unsere Umwelt gestalten wollen.

Dieser Forderung nachzugeben würde bedeuten, dem postdemokratischen Elitismus den roten Teppich auszurollen und die gerade sich entwickelnde neue politische Öffentlichkeit der vernetzten Bürger und Bürgerinnen im Keime zu ersticken. Darum: lasst uns politisch sein, Haltung zeigen und zur Debatte stellen was wir denken, immer und überall.

(Bild: © Rudie - Fotolia.com)

re:publica 2010 Rückblick - Das Netz ist politisch...

Das erste Mal habe ich mich dieses Jahr dazu hinreisen lassen, die re:publica in Berlin zu besuchen. Um es gleich vorweg zu nehmen: Es war ein sinnvoller Entschluss und ich werde im April 2011 mit grosser Wahrscheinlichkeit wieder in der Deutschen Hauptstadt anzutreffen sein.

Das Netz ist politisch. Es verändert die Kommunikationsstrukturen und damit fundamentale Bausteine der gesellschaftlichen Organisation. Diese Veränderungen sind grundlegend und umfassend und sie sind gut. Gut sind sie, weil sie zu stärkerer Dezentralisierung und mehr Demokratisierung führen und den Menschen effizientere Werkzeuge zur Partizipation in die Hände geben.

Das sind keine von mir belegbare Fakten, sondern Vorstellungen, die meinen persönlichen Werthaltungen entspringen, wie Peter Kruse das in seinem Vortrag dargestellt hat.

Diese Wertvorstellungen umfassen Konzepte wie Selbstbestimmung, Empathie, Neugier, Gestaltungswille, Lernbereitschaft und Verantwortungsbewusstsein.

Das angenehme an der re:publica 2010 war, dass sie mir während 3 Tagen das angenehme Gefühl zu vermitteln vermochte, mit diesen Werten in guter Gesellschaft zu sein. Offenbar mehr als 2500 Social Media Interessierte haben sich in über 100 Vorträgen & Diskussionen unter anderem mit den gesellschaftlichen und damit politischen Aspekten des Social Webs auseinander gesetzt.

Natürlich waren nicht alle Sessions politischen Themen gewidmet, es gibt ja auch noch anderes im Leben, und natürlich hat die Qualität variiert. Doch ein Blick in das Programm zeigt, wie sehr dieser "selbstreferenzielle Haufen", wie die re:publica Teilnehmenden auch schon mal abschätzig genannt werden, sich eben nicht einfach mit sich selber, sondern mit den gesellschaftlichen Implikationen der Internet Revolution beschäftigt.

So fragte Evgeny Morozov am ersten Tag was wir über den Einfluss des Internets auf autoritäre Staaten wissen. Jeff Jarvis denkt über das Verhältnis zwischen dem Wert des Öffentlichen und dem gesellschaftlichen Preis eines zu restriktiv gestalteten Datenschutzes nach. Peter Kruse zeigt in seinem Vortrag, den ich mir erst nachträglich online angeschaut habe, dass in der derzeitigen Diskussion vor allem Wertesysteme aufeinander prallen.

Am zweiten Tag erklärte Simon Schlauri was es mit der Netzneutralität auf sich hat und welche Aspekte zu betrachten sind. Bre Pettis zeigt mit dem 3-D Drucker MakerBot und der Website Thingiverse wie sich das Open Source Konzept von der virtuellen Welt der Bits & Bites auf die physikalische Welt der Dinge übertragen lässt. Es braucht nicht viel Phantasie um sich die Umwälzungen vorzustellen, die in 20-30 Jahren aufgrund dieser Technologien stattfinden werden. Jörg Kantel stellt das Urheberrecht grundsätzlich in Frage.

Der dritte Tag startete für mich mit Rob McKinnons spannender Einführung zu Open Data & Open Government und dann mit Werner Götz' inspirierenden Gedanken zum bedingungslosen Grundeinkommen. Basti Hirsch und Pippa Buchanan fragten wie Humboldt sich im Interneitzeitalter die Bildungsinstitutionen vorgestellt hätte und zeigten wie Open Education sich heute darstellt und welche Entwicklungen da noch möglich sind.

All diese Beispiele umfassen nur einen äusserst kleinen Teil des umfangreichen Programms, ich konnte ja eh nicht überall dabei sein, darum gab es auch immer genügend Zeit, Gründe und Bier & Kaffe Getränke um zwischen den Sessions mit den anderen Teilnehmern der re:publica zu socializen.

Ich erinnere mich gerne an:@leumund, @bloggingtom, @philbee, @trouvailleuse, @LeilaSumma, @mcschindler, @commafactory, @mpolzin, @dselz, @hdzimmermann, @omenzi, @moritzadler, @psennhauser, @marcelweiss, Florian Steglich, Thomas Mauch, @RobGreen, Stefan Herwig, @mmmatze @oliverg, @ronniegrob, @filSa, @dwrch @DaniaGerhardt, Gregory Gerhardt und hoffe niemanden vergessen zu haben.

Open Source, Open Journalism, Open Data, Open Government, Open Access, Open Education, Open Collaboration, Open Society, re:publica: Das Netz ist politisch...und singt.

 

Das Ende der Schweiz?

Newsweek proklamiert the "End of Switzerland" im Title Tag der HTML Seite gehen sie noch weiter, dort steht sogar "The Death of Switzerland". Unser bloggender Auswanderer und Ex-Nationalrat Ruedi Baumann findet es ganz Schlimm, was da steht und schuld ist natürlich wieder einmal der Herr Blocher.

Eigentlich sollte man diesen Artikel einfach links liegen lassen, wo er übrigens her kommt, der Autor Denis MacShane ist ein gewerkschaftlich orientierter Labour Parlamentarier. Aber lassen wir uns doch darauf ein und schauen, was wir lernen können. Es gibt ja immer was zu verbessern nicht wahr?

Wer den Artikel schon mal lesen möchte, der finde in hier und ganz interessant und aufschlussreich ist auch das Interview im englischsprachigen World Radio Switzerland.

Im wesentlichen ist Herr MacShane der Meinung, dass wir der EU Beitreten sollen, und dass die Minarett-Abstimmung rückgängig gemacht werden soll. Warum er dazu kommt, sich über diese zwei, die Schweizerische Innenpolitik betreffenden Themen derart in der Newsweek zu elaborieren, wird wohl ein Geheimnis bleiben. Im Radiointerview sagt er ja selbst, dass es ihm eigentlich nicht anstehe unsere Probleme zu lösen.

Tja, und bei der Aufzählung der Probleme, die wir zu lösen haben, wird es dann doch ziemlich schwierig:

Er schreibt, dass wir die letzte Weltwirschaftskrise locker überstanden haben, dass sich unsere Staatsveschuldung in Grenzen hält, dass wir die tiefste Arbeitslosenrate in Europa haben, dass wir eine produktive und innovative Wirtschaft im Greentech-Sektor hätten (haben wir das?), dass wir über ein lebhaftes Medienwesen verfügen und dass unser Staat nicht korrupt sei.

Liest sich das, wie die Beschreibung eines Staates der am Ende ist?

Am Anfang des Artikels holt er auch noch in der jüngeren Geschichte aus und lobt unser Land als ehemaligen Hort der Freiheit und sicheren Hafen um dann mit seinen Beobachtungen zu zeigen, dass wir es nicht mehr bringen:

Heute seien die Schweizer Städte dreckig, schlampig, schmuddelig ("grubby"), unsere Züge seien verspätet, unsere Strassen immer voller Baustellen und unsere Politiker erschienen oft provinziell. Der frühere Hafen der Sicherheit sei hässlich geworden, weil fremdenfeindliche Populisten für die Abschottung der Grenzen politische Kampagnen geführt hätten. Mehr und mehr sei die Schweiz eine sich abstrampelnde Nation, wie jede andere in Europa. Während sich Europa über ihre Rolle in der Welt Gedanken mache, werde die Schweiz auf dem internationalen Parket immer bedeutungsloser. Der Sonderfall sei vorbei, sagt er noch dazu im Radiointerview.

Dann folgen weitere Ausführungen zu Bankgeheimnis, Minarret-Initiative, Fremdenfeindlichkeit, das übliche, modische Schweiz-Bashing halt um dann zu erkläreren, dass der Grund für alle diese Probleme struktureller Natur sei. Unser politisches System der direkten Demokratie und des Föderalismus führe dazu, dass die Politik keine "harten" Entscheidungen durchsetzen können.

Wie gesagt, wir sind ja interessiert zu lernen und ich bin auch der Meinung, dass unsere Städte noch sauberer und unsere Züge noch pünktlicher sein könnten. Wir sollten sogar unsere Staatsverschuldung reduzieren und uns nicht damit zufrieden geben, dass sie nicht so schnell wächst wie in den EU Staaten, sowie unsere Arbeitslosigkeit noch weiter nach unten bringen und viele andere Dinge gibt es noch zu tun.

Doch so wie es aussieht, machen wir es alles in allem immer noch einiges besser als die meisten anderen in Europa. Und das was Herr MacShane als strukturelles Problem der Schweiz sieht, sehe ich gerade als Grund für unsere besseren Kennzahlen.

Es ist richtig, wir tun uns schwer mit solch weitreichenden Entscheiden, wie einem Beitritt zur Europäischen Union. Vieles dauert bei uns länger als anderswo. Dafür sind die Entscheide, die dann gefällt werden in der Bevölkerung verankert.

Die direkte Demokratie im föderalistischen Staatsgebilde mag die politischen Prozesse verkomplizieren aber sie hält dafür die Politik im Zaum. Sie ist genau das, was den anderen Europäischen Staaten und insbesondere der EU fehlt.

Dass es die Schweiz, so wie sie einmal war, nicht mehr gibt, wie Herr MacShane im Radiointerview seine Aussage zu reduzieren versucht, ist natürlich eine Binsenwahrheit.

Klar sind wir nicht mehr das schmucke kleine Ländchen aus den frühen Nachkriegsjahren, welches Schokolade, Käse und Uhren herstellt, bevölkert vor allem von Bergbauern und Kühen. Das waren wir wahrscheinlich auch nur in Klischeevorstellungen.

Die Schweiz ist ein modernes, vielfältiges und stark in die internationale Staatengemeinschaft integriertes Land, dass sich allerdings bei der Analyse der Rahmenbedingungen und bei der Entwicklung der Veränderungen den Luxus der Langsamkeit durch direkte Demokratie & Föderalismus leistet. 

Wir müssen nicht gleich beleidigt sein, wenn jemand die eine oder andere Herausforderung der wir uns zu stellen haben zur Sprache bringt, und wir sollten auch nicht beschämt den Kopf einziehen und mit schlechtem Gewissen stumm bleiben.

Wir spielen zwar keine weltpolitische Bedeutung, das war aber schon immer so, die Schweiz ist auch viel zu klein dafür.  Wir haben aber guten Grund aufrechten Ganges unsere Leistungen in den Vordergrund zu stellen. Und dies stünde übrigens auch den EU Beitrittsbefürwortern an, denn einen EU Beitritt aus einer schwachen Position heraus, sollten wir nicht wirklich anstreben wollen.

Das Ende der Schweiz ist noch lange nicht erreicht. Im Gegenteil, unsere Spezialität, der Sonderfall im Bezug auf die Bürgersouveränität hat Modellcharakter für die Zukunft von Europa.

 

Zum Energie- statt Mehrwertsteuer Vorschlag der Grünliberalen

Dieses Wochenende hat die Grünliberale Partei der Schweiz den Vorschlag gemacht, die Mehrwertsteuer zugunsten einer Steuer auf nicht erneuerbarer Energie abzuschaffen.

Ein kühner und darum auch ein beachtenswerter Vorschlag, um den es schade wäre, wenn er mit dem Argument der realpolitischen Nichtmachbarkeit gleich wieder in der Versenkung verschwinden würde.

Es gibt einige interessante Aspekte, die mit diesem Vorschlag in Verbindung stehen.

Zum Beispiel der Konflikt zwischen wünschbarem Steuerertrag und wünschbarer Senkung des Energieverbrauchs.

Mit einer Energiesteuer will man ja dafür sorgen, dass weniger Energie verbraucht wird, was insbesondere im Bezug auf fossile Energieträger sinnvoll ist.

Das heisst die Belohnung für erwünschtes Verhalten wäre eine tiefere Steuerbelastung. Um aber die Erträge des Staates nicht sinken zu lassen, müssten die Höhe der Steuer pro Einheit immer weiter angehoben werden, weil ja immer weniger fossile Energie verbraucht würde.

Eine sukzessive Erhöhung der Energiesteuer würde aber die Steuererleichterungen des Einzelnen, die er durch weniger Energieverbrauch erreiche würde, immer wieder zunichte machen. 

Man könnte hier argumentieren, dass die Belohnung für energiearmes Verhalten zwar keine tieferen Steuern bedeuten, aber wenigstens gleichbleibende. Für den, der seinen Energiehaushalt nicht kontinuierlich verbesserte stiege die Belastung laufend. 

Weitere Fragen stellen sich im Bezug auf die Dauer wie lange eine solche Steuer erhoben werden würde, und was danach kommt.

Irgendwann wäre ja der Punkt erreicht, wo keine fossilen Energieträger mehr zum Einsatz kommen und damit auch keine Erträge mehr fliessen. Wann würde das sein? Soll dann die Mehrwertsteuer wieder eingeführt werden? Oder alle Energieträger nicht mehr nur die fossilen besteuert werden? 

Ich bin gespannt darauf, wie das Thema bei den Grünliberalen weiter diskutiert wird und wie eine allfällige Volksinitiative aussehen wird.

Open Data Initiativen in der Schweiz?

Für die Analyse vieler gesellschaftlichen und damit politischen Fragestellungen werden statistische Daten benötigt und auch mit viel Aufwand erhoben. Aus diesem Grund gibt es in der Schweiz das Bundesamt für Statistik und die diversen weiteren Statistischen Ämter bzw. Dienste der Kantone, Gemeinden und anderer Institutionen.

Im Vor-Internet Zeitalter standen diese Daten aus praktischen Gründen bereits bearbeitet und nur zu hohen Kosten den Politikern, Beamten, Forschern und Journalisten zur Verfügung.

Heute wäre es allerdings sinnvoll alle erhobenen Daten, auch als Rohdaten, im Internet u.A. via API öffentlich bereit zu stellen. Dadurch könnte jeder der Lust und Zeit hat, Daten aufbereiten und für seine Zwecke nutzen und Darstellen, oder auch Applikationen entwickeln die mit diesen Daten arbeiten.

Die Erhebung der Daten wird in den meisten Fällen durch öffentliche Gelder finanziert und darum sollten sie der Öffentlichkeit auch schnell und einfach zur Verfügung stehen. 

In Grossbritanien scheint man in dieser Hinsicht schon sehr weit zu sein. Die Website unter der URL data.gov.uk hat "den Zweck den Wert von Behördendaten zu erhöhen indem diese einfach zu finden und einfach zu nutzen sein sollen" (freie Übersetzung aus der About Seite).

In Deutschland arbeiten einige Initianten daran ein Open Data Network zu formieren. Die beiden Blogbeiträgen von Daniel Dietrich, "Interview zu Open Data" und "Opendata - warum eine freie Gesellschaft offene Daten braucht" bieten einen guten, kurzen Einstieg in die Thematik.

Weiss jemand, ob es hier in der Schweiz auch Leute gibt, die sie damit beschäftigen?

Google erklärt, wann bei Blogger Music Blogs gelöscht werden

Ein paar Wochen nach der Geschichte mit Sebis gesperrtem Youtube Account, haben wir lesen können, dass Google diverse Music Blogs, die auf Googles Blog Service Blogger.com gehosted waren, aufgrund Copyright Problemen gelöscht habe, und zwar ohne vorherige Warnung.

Auf dem offiziellen Blogger Blog von Google erklärt das Unternehmen unter welchen Umständen solche Blogs gelöscht werden:

Sobald eine Beanstandung bei Google eintrifft, werde der Blogger per E-Mail und auf seinem Blogger Dashboard darüber informiert und der Blogpost, um den es sich handelt wird in den "Draft" Modus gesetzt, damit dieser vom Autor entfernt werden kann. Wenn mehrere Beanstandungen zu demselben Blog eintreffen und Google keine Anhaltspunkte hat, dass es sich um fehlerhafte Beanstandungen handelt, wir der Blog gelöscht. 

Wie schon beim Beitrag zur Lösung von Sebis Youtube Account erwähnt, bin ich nicht der Meinung, dass Google hierfür geblamed werden sollte, auch wenn man am Prozess noch Verbesserungen anbringen kann. Ein Unternehmen wie Google muss sich an die Gesetze halten.

Es ist dieses leidige weltweite Urheberrechtssystem das niedergerissen werden muss.

Minarett Initiative Abstimmungsresultat - gemach, gemach!

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen, ich habe diese doofe Initiative heute an der Urne auch abgelehnt. Allerdings finde ich einige der Reaktionen auf das Abstimmungsresultat wieder einmal ziemlich übertrieben.

Es werden auch nach dem 29.11.2009 weiterhin keine Minderheiten in unserem Land daran gehindert Ihre Religion auszuüben. Es werden weiterhin Moscheen entstehen und es werden auch keine Muslime diskriminiert oder gar verjagt werden.

Wenn Mathieu von Rohr auf Spiegel online schreibt:

"dieses vermeintliche demokratische Musterland missachtet das Menschenrecht der freien Religionsausübung und diskriminiert eine einzelne Religionsgruppe, die Muslime."

dann ist das doch reichlich daneben gegriffen.

Und ja, wir sind ein ein demokratisches Musterland, und zwar ein echtes, kein vermeintliches. Dazu gehört nun mal, dass wir über solche Fragen abstimmen dürfen und dass man nicht einfach nur dann die direkte Demokratie gut finden kann, wenn es einem inhaltlich in den Kram passt.

 

Das Schlechte ist nicht soviel schlechter...

Die schlechten Inhalte im Internet sind nicht soviel schlechter, als was in den klassischen Medien produziert wurde, die guten Inhalte sind aber viel besser. Insgesammt also ist es sinnvoller eine offene Medienwirtschaft zu haben, wie sie das Internet hervorbringt, als eine geschlossene duch Oligopole und Monopole organisierte.

So in etwa lautet Umair Haques Kernaussage in seinem absolut empfehlenswerten Blogpost "The New (New) Mediaconomy".

Der Jugendsexbericht für den Papierkorb

Die Eidgenössiche Kommission für Kinder und Jugendfragen (EKKJ) hat einen Bericht zur "Jugendsexualität im Wandel der Zeit" vorgelegt. Auf ungefähr 100 Seiten wird dargestellt und orakelt, wie die Jugend in der Schweiz mit dem Thema "Sex" umgeht, um dann am Schluss des Papiers mit vielen Forderungen an ebensoviele Adressaten zu gelangen.

Zum Beipiel mit der Forderung an die EDK: "Ein mehrsprachiges Lehrmittel (Ratgeber) unter dem (Arbeits-) Titel «Sexualität und Sprache» schaffen." damit "Kinder ein wertschätzendes Vokabular bezüglich ihres Körpers und der Sexualität lernen."

Wer glaubt denn ernsthaft daran, dass es möglich sein wird, die Kinder und Jugendlichen durch ein Lehrmittel dazu zu bringen, so über Sex zu sprechen, wie es sich die ArbeiterInnen der soziokulturellen Industrie wünschen?

Weiter oben sind auch einige paternalistischen Forderungen an verschiedenste Behörden und NGO's aufgeführt, sich gefälligst um die überforderten Eltern zu kümmern:

  • "Den Eltern muss ihre Verantwortung in Bezug auf eine umfassende, altersgemässe Aufklärung ihrer Kinder bewusster gemacht werden."
  • "Auch Eltern bedürfen einer differenzierten Wissensvermittlung, da viele überfordert sind, wenn es darum geht, ihre Kinder aufzuklären."
  • usw.

Um diesen Forderungen nachdruck zu verleihen sollen folgende Massnahmen ergriffen werden:

  • Sensibilisierungskampagne in Printmedien, auf APG-Kanälen und im TV starten. PR-Aktionen mit Kinderärztinnen und -ärzten organisieren
  • Anbieten von gezielten Informationen und Weiterbildungen für Eltern durch die Elternberatungs- stellen.
  • Niederschwellige Elternbesuche und zyklische Beratungsangebote aufbauen
  • usw.

Kampagnen, Beratungen, Elternbesuche, usw.

Die Botschaft des Berichtes ist eigentlich folgende:

  1. Jugendliche und Kinder sind grundsätzlich gut.
  2. Der Umgang mit Sexualität ist für Heranwachsende nicht einfach.
  3. Die Eltern sind grundsätzlich überfordert.
  4. Das Internet, ja die Welt überhaupt mit der Werbung, den Filmen, usw. ist gefährlich.
  5. Darum muss der Staat hier massiv eingreifen, mit viel Geld und vielen neuen Gesetzen.
  6. Wenn er das nicht tut, werden aus den grundsätzlich guten Kinder & Jugendlichen kleine Sexmonster
  7. und dann geht die Welt unter.

Zu 1-4 kann ich ja noch zustimmen, auch wenn ich den Punkt 3 schon äusserst problematisch finde und auch bei Punkt 1 einige Fragezeichen setzen würde. Aber die Konklusionen in den Punkten 5-7 sind völlig falsch.

Der Staat hat seine Bürger nicht zu erziehen und die Welt geht auch nicht unter, wenn er das nicht tut.

Obwohl es um das Geld schade ist, dass dafür ausgegeben wurde, bin ich trotzdem froh, dass der neueste EKKJ Bericht wohl hautpsächlich dort landen wird, wo er auch hingehört: im Papierkorb.

Ich frage mich höchstens, was das Dokument wohl gekostet hat?