Die Schweiz ist kein Paradies für Piraten

Was Jürg Altwegg in der FAZ über die urheberrechtliche Situation in der Schweiz von sich gibt, entbehrt jeder Grundlage. Es fehlt mir allerdings die Zeit, hier im Detail auf alle Punkte einzugehen. 

Doch eines wollen klar und unmissverständlich festhalten: Die Schweiz ist in keiner Art und Weise ein Paradies für Piraten. Es gibt in der Schweiz keinen mir bekannten Fall von fortwährender gewerblicher Urheberrechtsverletzung, gegen welche die Rechteinhaber nicht vorgehen könnten. Im schweizerischen Urheberrechtsgesetz ist unter Art. 67 deutlich festgehalten, dass Verletzungen des Urheberrechts strafbar sind.

Was die US-Unterhaltungsindustrie möchte, sind zum Beispiel Netzsperren von unliebsamen Websites, deren Server bzw. Verantwortliche sich im Ausland befinden. Massnahmen, die meines Wissens auch in Deutschland nicht gerade beliebt wären.

Herr Altwegg fragt sich dann am Ende des Artikels, ob der Umstand, dass wir auf dieser Watchlist eines Kongressausschusses sind, den politischen Prozess im Bezug auf die Umsetzung der Vorschläge der AGUR12 beschleunigen würde. Wer solche Hoffnungen hegt, zeigt ein äusserst fragwürdiges Demokratieverständnis. Es kann ja wohl nicht sein, dass die Schweiz ihren Gesetzgebungsprozess beschleunigt, nur weil ein paar Kongressabgeordnete in den USA sich von der Lobby der Unterhaltungsindustrie dazu haben hinreissen lassen, uns auf ihrer Liste stehen zu lassen.

Anti-Piraterie-Gremium im US-Kongress findet keinen Gefallen am AGUR12-Fahrplan

Der "International Creativity and Theft-Prevention Caucus" des US-Kongresses hat seine Watchlist 2014 veröffentlicht. Die Schweiz ist wird seit 2012 auf dieser Liste geführt. Der Grund warum wir trotz AGUR12 und rundem Tisch mit dem SECO immer noch auf dieser Liste sind, liegt daran, dass der US-Unterhaltungsindustrie unser Gesetzgebungsprozess offenbar zu lange dauert und dass es noch nicht sicher ist, dass ihre Wünsche dereinst erfüllt werden: 

«The Caucus appreciates willingness of the Swiss government to engage in frank and forthright discussions regarding their placement on the Watch List and the climate for intellectual property protections. However, the timeline provided to take steps to bring Switzerland back up to international standards for protection of copyright is insufficient to address the Caucus’s concerns. Most recently, the Swiss government announced in June 2014 that a proposal will not  be put before the legislature until late 2015 at the earliest. The Caucus cannot remove Switzerland from the 2014 Watch List based on such a protracted timeline, with the end result far from guaranteed.»

Hierzulande wird von den Befürwortern der AGU12-Massnahmen ja immer wieder behauptet, dass die vorgeschlagenen Gesetze zur Überwachung von P2P-Netzwerken und Einrichtung von Netzsperren nichts mit den USA zu tun hätten, sondern für Kulturschaffenden der Schweiz geschaffen werden sollen. Die Druckversuche aus den USA zeigen allerdings ein ganz anderes Bild. Die ganze Kampagne zur AGUR12 reiht sich ein in die Geschichte der weltweiten Urheberrechtsanpassungen, die immer zugunsten der Unterhaltungsriesen durchgeführt wurden und auch immer von diesen getrieben waren. Es geht dabei nie um die Künstler sondern einfach um sehr viel Geld welches bei einigen wenigen grossen Kapitalgesellschaften gesammelt wird. 

Wir müssen uns in der Schweiz fragen, ob es die Aufgabe der Politik ist, dafür zu sorgen, dass in der Schweiz eine rege und vielfältige kulturelle Szene existieren kann, oder ob die weltweiten Grosskonzerne der Unterhaltungsindustrie ihre veralteten Geschäftsmodelle aus dem 20. Jahrhundert ungestört durchdrücken können, unbeachtet der dabei entstehenden Kollateralschäden.

Weitere Links zum Thema

(Danke @kusito für den Hinweis)

Kassensturz zum AGUR12 Bericht - Ueli Schmezer auf Abwegen

Martin Steiger, Ueli Schmezer & Christoph Trummer im Kassensturz vom 13.5.2014

Martin Steiger, Ueli Schmezer & Christoph Trummer im Kassensturz vom 13.5.2014

Der Kassensturz hat gestern einen Beitrag zu den Forderungen aus dem AGUR12-Bericht gesendet. Ueli Schmezer, selber Musiker, ist in diesem Zusammenhang allerdings nicht Partei für die Konsumenten sondern für die andere Seite. Eigentlich eine ziemliche Frechheit, ein Sendegefäss, welches sich per Definition als Anwalt für die Konsumenten versteht so offensichtlich gegen die eigene Klientel und für die eigenen Interessen einzusetzen. Wenigstens gab es am Ende des Beitrags noch ein kurzes aber aufschlussreiches Streitgespräch zwischen Martin Steiger von der Digitalen Allmend und Christoph Trummer vom Verein Musikschaffende Schweiz*.

Als Ergänzung zum Beitrag möchte ich hier ein paar Äusserungen aus dem Beitrag kommentieren.

Ueli Schmezer beginnt mit der Aussage, dass der Film Rio 2, der offenbar momentan in den Kinos läuft, bereits auch im Netz in bester Qualität gefunden werden kann:

"Diesen Film kann man aber schon jetzt ganz bequem bei sich auf dem Computer schauen..."

Damit bringt er das Problem auf den Punkt: Es gibt Menschen, die wollen "ganz bequem" zuhause einen Film schauen und nicht ins Kino gehen. Und es gibt andere, die finden das Kinoerlebnis fantastisch. Aber es will sich niemand mehr den Kanal vorschreiben lassen, den er nutzt, um einen Film zu konsumieren.

Dass es unzählige Europäer gibt, die sich ein Netflix-Abo leisten und zusätzlich noch Geld ausgeben müssen, um das Geo-Blocking zum umgehen, zeigt doch dass die Zahlungsbereitschaft da ist. Das Problem liegt einzig und allein darin, dass die Filmindustrie nicht bereit ist, ihre bestehenden Verwertungsketten zu überdenken. Es ist ganz einfach. Gebt der ganzen Welt die Filme gleichzeitig, macht sie auf einfache Art und Weise kostenpflichtig verfügbar und das so genannte "Piraterie-Problem" ist gelöst.

Auch Musik sei in Form von Raubkopien einfach verfügbar:

"Wenn sie beispielsweise genau jetzt, heute Abend Musik von ihrer Lieblingsband gratis im Internet Downloaden wollen, dann werden Sie höchstwahrscheinlich problemlos eine Möglichkeit finden."

Das ist zwar richtig, aber völlig irrelevant. Denn ich finde heute höchstwahrscheinlich alles, was auf diesen Plattformen verfügbar ist auch bei legalen Angeboten kostenlos. Fast jeder Künstler ist heute mit seinen Songs zum Beispiel auf YouTube oder Spotify vertreten oder bietet Streams auf seiner Website an. Es ist gar nicht mehr nötig, auf solche Angebote zuzugreifen und interessanterweise, findet man dann das wirklich Rare und Spezielle weder auf den legalen noch auf den 'luschen' Plattformen. 

Als nächstes behauptet Ueli Schmezer, dass sich Kulturschaffende jetzt beginnen zur Wehr zu setzen, dabei weiss er selber ganz genau, dass diese ganze Kampagne von der USA-Dominierten Unterhaltungsindustrie getrieben ist und nicht erst "jetzt" beginnt, sondern schon seit langem im Gang ist. Er war selber vor einem Jahr als Moderator verschiedener Veranstaltungen tätig und hat sich auch dort als voreingenommen und parteiisch gezeigt.

*Sie (die Kulturschaffenden) sagen, es könne doch nicht sein, dass man ihnen ihre Werke einfach nimmt, ohne dafür zu bezahlen"

Bei dieser Aussage müssen wir die wichtige Frage stellen, ob die Werke der Schweizer Kulturschaffenden wirklich genommen werden, ohne dafür zu bezahlen? Das ist eine unbelegte Behauptung. Selbst wenn wir einen Lyrik-Band eines Schweizer Autors auf einer Sharing-Plattform finden würden, was äusserst unwahrscheinlich ist, heisst das noch lange nicht, dass ihm dadurch Umsatz entgangen ist. Solange die Schweizer Kulturschaffenden nicht bereit sind, Zahlen zu nennen, damit wir wissen, worüber wir sprechen, können wir genauso gut davon ausgehen, dass unserer Kultur kein Schaden entsteht. Auch Stephan Eicher wird kaum von Downloads aus illegalen Quellen Einkommenseinbussen verzeichnen. Wenn er weniger verkauft, dann vor allem darum, weil die Konkurrenz viel grösser geworden ist.

Später im Filmbeitrag kommt Lorenz Haas der IFPI Schweiz, des Verbandes der globalen Musikkonzerne zu Wort. Er findet, dass diejenigen die mit ihren Inhalten Geld verdienen, ohne ihnen etwas davon abzugeben, in Pflicht genommen werden müssen. Das ist legitim und auch verständlich. Nur kann es nicht sein, dass wir in der Schweiz, derartig massive Eigriffe wie Netzsperren und Netzüberwachung einrichten, nur weil die Musikindustrie es zu mühsam findet gegen die schwarzen Schafe juristisch vorzugehen. Fast alle Länder dieser Welt sind Mitglieder von weltweit gültigen internationalen Urheberrechtsabkommen. Dass diese auch funktionieren zeigt der Umstand dass laufend solche Angebote geschlossen werden. Die Juristen der Musikkonzerne haben genug Zeit um durch politisches Lobbing an geheimem runden Tischen ihre Interessen undemokratisch durchzusetzen, finden es aber zu mühsam in den Ländern, die sie selber in diese Vertragswerke drängen, Prozesse zu führen, wie es sich für eine demokratische und rechtsstaatliche Gesellschaft gehört.

 

*Disclosure: Ich bin Präsident des Vereins Digitale Allmend. Ich bin zwar nicht Mitglied bei den Musikschaffenden, habe aber mit dem Verein Musikschaffende zwei Workshops zum Thema "Monetarisierung von Musik im Internet" durchgeführt. Ich bin nicht dagegen, dass Künstler Geld verdienen und verstehe mich persönlich gut mit Christoph Trummer und vielen anderen Musikern und Kulturschaffenden der Schweiz. Mir geht es darum, dass wir die Verhältnisse im Auge behalten. Der Schaden für die Schweizer Kulturschaffenden ist mit grosser Wahrscheinlichkeit so gering, dass er für den einzelnen Künstler nicht ins Gewicht fällt. Bis jetzt sind sie es uns auf jeden Fall schuldig geblieben einmal zu beziffern, wieviel Einkommen ihnen tatsächlich durch die von ihnen behaupteten Probleme verloren gehen. Warum ist das wichtig? Weil wir eine Güterabwägung vornehmen können müssen. Immerhin schlägt die AGUR12 massive Eingriffe in unsere Bürgerrechte vor, da sollten wir schon darüber diskutieren dürfen, ob so etwas dann wirklich den Schweizer Kulturschaffenden nützt, die hier an vorderster Front für eine Verschärfung kämpfen, oder ob wir nicht besser nach anderen Lösungen suchen sollten.

Neue Netzsperren-Initiative des Bundesrates

Bild: Public Domain - Quelle: http://pixabay.com/p-107860/

Vor 2 Tagen, am 30. April 2014, hat der Bundesrat die Vernehmlassung zum geplanten neuen Bundesgesetz über Geldspiele (BGS) eröffnet

Einmal mehr sollen Netzsperren eingerichtet werden um eine lokale Branche zu schützen. Im 7. Kapitel steht der folgende Artikel:

Art.88 Sperrung des Zugangs zu nicht bewilligten Spielangeboten 

  1. Der Zugang zu online durchgeführten Geldspielen ist zu sperren, wenn die Spiel-angebote in der Schweiz nicht bewilligt sind.
  2. Gesperrt wird ausschliesslich der Zugang zu Angeboten, deren Anbieter ihren Sitz im Ausland haben und die in der Schweiz zugänglich sind.
  3. Die ESBK und die interkantonale Vollzugsbehörde führen und aktualisieren jeweils eine Sperrliste betreffend die Angebote in ihrem Zuständigkeitsbereich.
  4. Die Fernmeldedienstanbieterinnen sperren den Zugang zu den Spielangeboten, die auf der Sperrliste aufgeführt sind.

Wie wir wissen, stehen Netzsperren für unliebsame Inhalte auch auf der Forderungsliste der AGUR12

Die Grundsätzlichen Probleme im Zusammenhang mit Netzsperren sind hinlänglich bekannt und müssen nicht wiederholt werden.

Ich möchte hier darauf aufmerksam machen, dass es sich abzeichnet, dass für jedes Problem welches irgendeine Interessengruppe gerade sieht, das Instrument der Netzsperren gefordert wird und dass wir eine Inflation der Sperrlisten sehen werden, wenn wir dieser Idee nicht eine klare grundsätzliche Absage erteilen.

Ein Internet welches durch politisch motivierte Sperrlisten blockiert ist, ist ein Internet der Zensur und des Totalitarismus.

Wir müssen endlich einsehen, dass die vielen einzelnen Gründe für Sperrlisten am Ende zu einem völlig unfreien und ungerechten System führen werden, welches einzig dazu dient, bestehende Strukturen zu schützen und die ursprüngliche Idee, der politischen und ökonomischen Befähigung des Einzelnen in kleinen und dezentralen Systemen, vernichtet.

Wir dürfen uns nicht blenden lassen von Begehrlichkeiten von Industrien, die unter dem Deckmantel des Schutzes des kleinen Mannes (und der kleinen Frau natürlich) bzw. des kleinen Künstlers, nicht anderes im Sinn haben, als den grossen Machtstrukturen, ihre etwas in Bedrängnis geratene Position zu sichern.

Auch in diesem Gesetz geht es in erster Linie darum, dem Kapital der Kasinobetreiber und den Pfründenverwalter der Lotteriegesellschaften ihre Geldquellen zu sichern. Der unbedarfte Spieler, den zu schützen sie vorgeben, ist ja gerade der, den sie gerne selber ausnehmen wollen. 

Bild: Public Domain - Quelle: http://pixabay.com/p-107860/

Linkliste zur AGUR12 - Updated 8. Dezember 2013

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Die AGUR12 ist eine Arbeitsgruppe, die von Bundesrätin Simonetta Sommaruga ins Leben gerufen wurde und sich im Oktober 2012 das erste Mal getroffen hat. Die AGUR12 soll «bis Ende 2013 Möglichkeiten zur Anpassung des Urheberrechts an die technische Entwicklung aufzuzeigen.».

Dabei müssen wir uns im Klaren darüber sein, dass diese Arbeitsgruppe aufgrund intensiven Lobbyings, insbesondere der Unterhaltungsindustrie, zustande gekommen ist, weil wir in der Schweiz eines der liberalsten Urheberrechte haben. Wir alle sind damit bisher gut gefahren und es gibt derzeit absolut keinen Grund die rechtliche Situation anzupassen.

Es werden bei uns zum Glück keine existenzbedrohenden Prozesse gegen Jugendliche und ihre Eltern geführt und trotzdem sind für die Schweizer Kulturschaffenden keine nennenswerten Verluste von Einnahmen durch Verstösse gegen das Urheberrecht zu verzeichnen. Zumindest war bisher noch niemand in der Lage uns mal eine Zahl zu nennen, über die wir dann diskutieren könnten.

Die AGUR12 ist nur dem Anschein nach ausgewogen zusammengesetzt. In Wahrheit hat die Unterhaltungsindustrie dort das stärkste Gewicht und es spricht Bände, dass die Gruppe nicht bekannt geben will, welche 3 der 15 Mitglieder den Schlussbericht geschrieben haben. 

Nun denn, ich denke, die Diskussion um die Ergebnisse der AGUR12 bzw. um die Inhalte des Schlussberichtes wird uns noch eine Weile beschäftigen, darum werde ich hier eine Linkliste führen, damit wir uns einfach und schnell ein Bild über die Situation machen können. 

Diese Liste ist natürlich weder ausgewogen noch abschliessend. Es geht vor allem darum, die Stimmen denjenigen, die nicht zur Mitarbeit in  der Arbeitrgruppe eingeladen wurden, aber massgeblich von den Ergebnissen betroffen sind, zu Wort kommen zu lassen. Wir, die das Internet täglich nutzen, wir, die das Kulturschaffen auf vielfältige Weise unterstützen, wir, die keinen Zensur- und Überwachungsstaat Schweiz wollen.

Wenn Ihr weitere Links kennt, die ich hier anfügen sollte, dann meldet Euch bitte, in den Kommentaren oder via Kontaktformular.

(Bild: Wikimedia Commons, Public Domain)

Wie die US-Unterhaltungsindustrie in der Schweiz Politik macht

Rechtsanwalt Martin Steiger hat seine Erkenntnisse zum geheimen Runden Tisch des SECO und den USA Vertretern, nachdem er aufgrund des Öffentlichkeitsgesetztes einige Dokumente erhalten hat, zusammengefasst. Es bleibt äusserst fragwürdig, dass wir offenbar nicht erfahren dürfen, was an diesen Sitzungen genau besprochen wurde. Die Beteuerung der Vertreter der Unterhaltungsindustrie in der AGUR12, dass sie nicht in erster Linie die Interessen der Grosskonzerne und Hollywood vertreten, werden dadurch auch nicht glaubwürdiger.

Neverending Playlist

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neverendingplaylist.com erstellt automatische Wiedergabelisten von Künstlern, deren Songs auf Youtube verfügbar sind. The Echo Nest, die Anbieterin der Website betreibt eine Datenbank mit Informationen zu mehr als 30 Mio Songs, die wiederum vielen Musikdiensten wie Rdio, Spotify und unzähligen anderen als Basis für Ihre Services dient. Ob neverendingplaylist.com dereinst auch auf der Sperrliste der Musikindustrie stehen wird, falls diese ihre Forderung nach Netzsperren in der Schweiz durchbringen sollte?

50 Jahre Kassette - Das Jammern der Musikindustrie

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Vor 50 Jahren hat Philips an der IFA ihre Compact Cassette vorgestellt. Nehmen wir diesen netten Geburtstag doch wieder einmal zum Anlass, uns vor Augen zu führen, wie die Musikindustrie normalerweise auf Innovationen reagiert. Sie jammert und schreit, dann setzt sie ihren Lobby-Apparat in Bewegung und versucht die Technologie, die sie stört, zu verbieten und wenn das nicht geht, wenigstens zu melken.

Lesen wir ein paar Beispiele:

Im Spiegel Nr. 17 von 1977 im Artikel "Klang-Supermarkt zum Nulltarif

Vor allem die Leerkassette stellt die Musikfirmen vor kaum lösbare Probleme: Sie verlieren durch Überspielungen in Westdeutschland pro Jahr rund eine Milliarde Mark. Das Unterhaltungsgewerbe steuert in eine Existenzkrise. 

oder: 

Durch den Vormarsch der Leerkassette werden die Plattenfirmen zu empfindlichen Budget-Kürzungen gezwungen sein. Sie werden qualifizierte Mitarbeiter entlassen und ihr Repertoireangebot drastisch einschränken müssen. Nur noch Spezialitätenprogramme, die der Rundfunk nicht oder selten sendet, sowie attraktive Hit-Koppelungen, die nur mühsam do-it-yourself aufzunehmen sind, haben künftig noch eine nennenswerte Umsatzchance.

Wir wissen es mittlerweile besser. Die Musik-Grossindustrie hat überlebt, was eigentlich schade ist, denn die Musik selbst wäre ja auf keinen Fall untergegangen und wir müssten nicht unsere Zeit damit verbringen, gegen absurde und schädliche Forderungen dieser Überlebenden zu kämpfen.

In einer Bravo von 1977 im Artikel "Hits zum Nulltarif - Sind Leer-Cassetten der Tod der Schallplatte?"

Friedrich Schmidt von der Ariola Geschäftsleitung dazu: "In der Bundesrepublik verursachen die Leer-Cassetten für die Schallplattenindustrie einen Umsatzverlust von mehr als einer Milliarde Mark. Darunter leiden natürlich auch Komponisten, Texter, Verleger und die Künster. Wenn die Umsätze weiter zurückgehen, so wird sich das in erster Linie auf das Suchen nach neuen Wegen in der Musik auswirken. 

Das ist ein wunderbar unverfrorenes Argument. Die Experimentierfreude der Musiker und Musikerinnen und damit die künstlerische Weiterentwicklung der Musik ist direkt von den Umsätzen der Grossindustrie abhängig.  

und in der Zeit Nr. 36 von 1976 - Flop mit Pop wird sogar das Ende der Schallplatte auf die kommenden 1980er Jahre prognostiziert:

Die Cassette“, klagt Phonographie-Funktionär Thurow, „ist ein sehr zweischneidiges Ding.“ Schwarzmaler sehen es simpler: Sie prophezeien bereits für Anfang der achtziger Jahre „die letzten Tage der Schallplatte“ (Deutsche Zeitung).

Natürlich haben sie die CD damals noch nicht kommen sehen, und meinten mit dem Tod der Schlallplatte auch gleich den Tod der Industrie. Das liegt wahrscheinlich an der fehlenden Kreativität und Vorstellungskraft von Managern, die in gesättigten Oligopolstrukturen ihrer langweiligen Verwaltungstätigkeit nachgehen. 

Die Geschichte wiederholt sich immer und immer wieder. Wie wir auch im oben erwähnten Spiegel Beitrag nachlesen können:

Schon einmal, bei der Umstellung von der zerbrechlichen Schellack-Scheibe mit 78 Umdrehungen pro Minute auf die unzerbrechliche 33er PVC-Longplay, leistete die notorisch konservative Musikindustrie verbissen Widerstand.

Auch interessant, dass die Industrie in den 1970er Jahren, so wie sie heute Netzsperren fordern, die Radiostationen dazu zwingen wollten, Störsignale zu senden, damit die Sendungen nicht aufgezeichnet werden können. Man beachte auch hier den Hinweis darauf, dass ein solches System sehr einfach zu umgehen gewesen wäre:

Ein von der Londoner EMI patentiertes, unhörbares Störsignal, das den Radiomitschnitt gesendeter Schallplattenmusik verhindern würde, scheint nicht zum Zuge zu kommen. Die Sender mußten, um Mitschnitte generell zu verhindern, gezwungen werden, alle ausgestrahlte Musik mit dem Störcode zu versehen -- eine unpopuläre Maßnahme. Aber selbst wenn sie gelänge, wäre das Störsignal durch ein billiges Zusatzteil im Empfänger zu knacken.

Das sollte uns allen Mahnung sein, nicht wieder auf das Gejammere der Musikindustrie einzugehen und die Vorschläge der AGUR12 auch unter diesem Blickwinkel zu betrachten. Zum wiederholten Male, will die Musik-Grossindustrie ihre Machstellung sichern. Diesmal allerdings mit gravierenden Folgen für uns alle, wenn sie damit durchkommen, was sie in der AGUR12 vorschlagen.  

Für die SUISA ist Creative-Commons Einsatz unsozial!

Der Verein Digitale Allmend*, der auch den Lead für Creative Commons Schweiz führt, hat sich bei der SUISA wieder einmal kundig gemacht, ob es denn für deren Mitglieder möglich sei, einzelne Werke unter Creative Commons zu lizenzieren. (Hier sind die Fragen an und die Antworten von der SUISA)

Ich habe schon im Anschluss an meinen Vortrag am Parlamentarier-Dinner der Gruppe Digitale Nachhaltigkeit darauf aufmerksam gemacht, dass sich unsere Verwertungsgesellschaften, insbesondere die SUISA als Verhinderer einer grösseren Verbreitung der Creative-Commons Lizenzen gebärden. Damals wurde diese Aussage aus dem Publikum von den Vertetern ebendieser Gesellschaften lautstark dementiert und es stand Aussage gegen Aussage. (Hier ist das Video, ab 14:25 kommt meine Aussage und ab 15:26 kommt die Erwiderung von Herrn Läubli). Es ist leider ein beliebtes, wenn auch unfaires, rhetorisches Mittel, unliebsame Aussagen einfach zu neutralisieren, indem wider bessern Wissens behauptet wird, sie stimmen nicht. 

Wie wir nun aus den offiziellen Antworten der SUISA lesen können, ist es aber, wie ich damals gesagt habe, tatsächlich so, dass Mitglieder dieser Verwertungsgesellschaft keine Creative-Commons Lizenzen einsetzen können. Und weil mehr oder weniger, jeder, der in der Schweiz Musik produziert bzw. komponiert, bei der SUISA Mitglied ist,  kann sich diese Lizenzierungsform für Musik in der Schweiz auch nicht etablieren.

Ein Musiker oder eine Musikerin, die bei der SUISA Mitglied wird, muss alle Werke exklusiv über diese Gesellschaft verwerten lassen: 

Der Wahrnehmungsvertrag mit der SUISA hält fest, dass der Urheber alle seine Werke anmelden muss, bzw. die von der SUISA wahrzunehmenden Rechte an allen seinen (auch zukünftigen) Werken abtritt. 

Völlig Absurd ist dann aber die Begründung, warum die SUISA ihren Mitgliedern die Nutzung der Creative-Commons Lizenzen nicht erlauben will:  Es würden der Organisation durch die Unterstützung dieser Lizenzierungsform zusätzliche Aufwände entstehen, diese müssten alle Mitglieder, auch die, die keine CC-Lizenzen verwenden, zu gleichen Teilen mittragen und darum wäre eine solche Lösung unsozial [sic!].

Es zeigt sich einmal mehr, dass die Verwertungsgesellschaften nicht bereit sind, auch nur im geringsten auf die neuen Möglichkeiten und Veränderungen der vernetzen Welt einzugehen.  

Das IGE bzw. der Bund müsste hier m.E. aktiv werden und die Verwertungsgesellschaften dazu zwingen, ihren Mitgliedern die Verwendung von Creative-Commons  zu ermöglichen, ohne dass sie sich dabei im Bezug auf die anderen Services Nachteile vergegenwärtigen müssen.

Es ist einfach ein Witz, wenn eine Verwertungsgesellschaft auf der einen Seite zusammen mit ihren Kollegen in der AGUR12 drakonische Massnahmen fordert, die, wenn sie umgesetzt würden, das Internet, so wie wir es heute kennen, verschwinden lassen würde, gleichzeitig als Verhinderer eines Konzeptes auftritt, welches zumindest ein paar gute Antworten auf die Herausforderungen der Digitalisierung bereit hält.

(*Disclosure: Ich bin Präsident des Vereins Digitale Allmend und führe mit buch & netz einen Verlag der unter Creative-Commons Lizenzen publiziert) 

 

Wenn Kulturjournalisten auch PR-Manager sind

Wenn Kulturjournalisten auch PR-Manager sind

In der gedruckten NZZ von heute, wie auch online, ist ein Beitrag erschienen, der die Kultur des "Do-it-yourself" in der Welt der Pop-Musik zu analysieren vorgibt. 

Die Autorin kommt im Artikel, zusammen mit einem Vertreter der Verwertungsgesellschaften, die derzeit in der AGUR12 darauf hinarbeiten eine Zensur- und Überwachungsinfrastruktur in der Schweiz aufzubauen, zum Schluss:

«Mit DIY 2.0 alleine nämlich hat noch niemand den Durchbruch geschafft.»

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