Braucht die Öffentlichkeit Massenmedien?

Eine im Zusammenhang mit dem Medienwandel immer wieder behauptete Aussage ist die, dass es für die Herstellung von Öffentlichkeit, in welcher ein politischer Diskurs stattfinden kann, Massenmedien braucht.

Aktuell Rainer Stadler in seiner in Media Ras Kolumne «Wer schaut die Tagesschau» in der NZZ von heute: 

Kommt damit früher oder später der Abschied von den Massenmedien? Nein. Der gesellschaftliche und der politische Diskurs brauchen eine Gestaltung durch breitenwirksame Leitmedien.

Mit dieser Aussage wird oft auch begründet, warum die Politik das bestehende Mediensystem aufrechterhalten soll.  

Interessanterweise wird Öffentlichkeit so definiert, dass es sich um einen "Ort" handelt, wo Dialog und Austausch der Bürger stattfinden kann. Während die vielen Zeitungen des 19. Jahrhunderts, diesem Anspruch noch eher gerecht werden konnten, da wohl tatsächlich die meisten, die sich zu dieser Zeit aktiv an der Demokratie beteiligten auch in ihren Zeitungen zu Wort kommen konnten, sind die Massenmedien, wie wir sie seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts kennen, längst keine Dialogmedien mehr. Es sind Broadcaster im wörtlichen Sinne, und die Meinungen die dort ausgetauscht werden, sind nicht, die der Bürger & Bürgerinnen, sondern eher zufällig ausgewählter Protagonisten, wie Sportler, Popstars, Mister & Missen und hin und wieder Politikerinnen und Wissenschaftler. 

Wenn wir also wirklich daran interessiert sind demokratische Öffentlichkeit im Sinne der oben genannten Vorstellungen zu realisieren, dann sollten wir wohl kaum an den Massenmedien festhalten, sondern die Netzmedien, die viel besser als Dialogmedien geeignet sind, begrüssen. 

Richtig, ein einzelner Blog erreicht kaum relevante regelmässige Leserzahlen, aber darum geht es gar nicht. Die Vorstellung, dass sich "Öffentlichkeit" nur dadurch einstellen kann, weil ein Thema massenmedial verbreitet wird, hält sich wohl nur darum so hartnäckig, weil wir es nicht anders gewohnt sind. Dieser These können wir nur schon die Geschichte entgegen halten. Es hat bereits politische "Öffentlichkeit" gegeben, als es noch kein Radio und kein Fernsehen gab, die Zeitungslandschaft viel stärker fragmentiert war und die einzelnen Blätter nur Bruchteile der Auflagen heutiger Massenmedien erreichten. 

Im Netz entsteht Öffentlichkeit durch Vernetzung der vielen einzelnen Beiträge. Klar leben wir in einer Übergangszeit in welcher die Infrastruktur der Massenmedien noch existiert und für viele Beteiligte auch noch die alte Rolle spielt. Und ich denke auch, dass es immer Orte im Netz geben wird, die eine grössere Reichweite erreichen, also besser vernetzt sind, als andere. Aber sie werden kaum die Relevanz geniessen, wie dies die Massenmedien eine kurze Zeit in der Geschichte der Medien durften, sondern werden eher wieder der fragmentierten Situation der Zeitungslandschaft des 19. Jahrhunderts gleichen und sie werden nur Relevant sein, wenn sie vernetzt sind und damit immer auch als Hub für den Durchgang der Informationen funktionieren.  Ein Thema, welches grosse öffentliche Wichtigkeit erfährt wird dann an ganz vielen Stellen im Netz auftauchen, diskutiert und vernetzt werden, während andere Themen die nur Nischen betreffen nur bei den entsprechenden Knoten aufblinken. 

Öffentlichkeit kann im Netz problemlos ohne Massenmedien existieren. Wichtig ist einzig, dass der freie und uneingeschränkte Zugang zum Netz gewährleistet wird. Wir müssen also nicht die Massenmedien retten, sondern Netzneutralität garantieren und den Überwachungsstaat verhindern, indem wir das geplante Nachrichtendiensgesetz und die BÜPF Revision ablehnen und darauf achten, dass die Vorschläge der AGUR12 nicht umgesetzt werden. 

(Bild: Le Serment du Jeu de paumer von Jacques-Louis David)

Mit der CVP auf dem Weg zum Polizei- und Überwachungsstaat

Die CVP hat Alarm geschlagen. Die Sicherheit in der Schweiz sei, wenn es so weiter geht, bald nicht mehr gewährleistet. Damit es nicht soweit kommt, hat die Partei ein Massnahmenpaket zusammengestellt, welches uns aufhorchen lassen muss. Wenn eine Mitte-Partei derart auf Law-and-Order setzen, verheisst das nichts gutes für unsere Zukunft und vor allem nicht für die kommenden Debatten zur BÜPF-Revision und zum Nachrichtendienstgesetz.

Irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass sich Reto Nause immer noch nicht von der "Tanz-Dich-Frei-Geschichte" erholt hat. Hier ein paar Kostproben davon, wie die Christlichen Demokraten gedenken, den Teufel aus der Gesellschaft zu vertreiben (aus der Medienmappe mit dem Positionspapier PDF):

  • ...Die CVP unterstützt deshalb die Einführung von Schnellverfahren, vor allem bei Grossanlässen mit absehbarem Gewaltpotenzial
  • ...Wer sich an einer bewilligungspflichtigen Versammlungen oder Kundgebungen vermummt, erschwert oder verunmöglicht bewusst eine spätere Identifizierung. Die CVP fordert die Schaffung strafrechtlicher Instrumente, die auch dann greifen, wenn eine Gruppe Vermummte in ihrer Mitte vor dem Zugriff durch die Polizei schützt
  • ...Das Strafmass für Landfriedensbruch muss heraufgesetzt werden, tatverdächtige Angehaltene sollen bis zu 72 Stunden in Gewahrsam genommen werden können.
  • ...Insbesondere bei der Aufklärung von Straftaten bei unbewilligten Anlässen oder Gewaltausbrüchen sind nicht unverhältnismässig hohe Ansprüche an die Internetfahndung zu stellen
  • ...Heute haben weder die Polizei noch der Nachrichtendienst des Bundes die Möglichkeit in Fällen von Gewaltextremismus präventiv oder nach Gewalteskalationen reaktiv Telefone abzuhören oder Emails zu überwachen. Die CVP fordert die Schaffung der entsprechenden gesetzlichen Grundlagen
  • ...Social Media-Kanäle, über die anonyme Aufrufe zu unbewilligten Veranstaltungen wie „Tanz dich frei“ veröffentlicht werden, müssen zur Zusammenarbeit mit den Behörden verpflichtet werden können.
  • ...Die CVP unterstützt die Schaffung eines internationalen Regelwerks, welches internationale Verhaltensregeln, Standards und Normen über das Verhalten im Internet festlegt.
  • ...Die CVP hält weiterhin an ihrer Forderung nach 3000 zusätzlichen Polizisten fest.
  • ... Bestehende Videoüberwachungssysteme von Strassen sollen technisch aufgerüstet werden, so dass sie Kontrollschilder automatisch scannen und mit dem eidgenössischen Fahndungsregister Ripol, welches Datenbanken für Personenfahndungen, Fahrzeugfahndungen, Sachfahndungen und ungeklärte Straftaten umfasst, abgleichen können.
  • ...Der Nachrichtendienst des Bundes muss über die nötigen Kompetenzen für Einsätze im In-
    und Ausland verfügen, um als Frühwarnsystem zugunsten des Bundes und der Kantone proaktiv zu wirken.
  • ...Mit mehr Begleitpersonal, Überwachungskameras etc. verbessern wir die Sicherheit auf den Bahnhöfen und in den Zügen und garantieren die Sicherheit der Passagiere.
  • ...Der öffentliche Raum muss durch präventive Stadtgestaltung, bessere Beleuchtung und den verstärkten Einsatz von Videokameras an Brennpunkten Verwahrlosung, Vandalismus, Diebstählen, Wohnungseinbrüchen sowie Gewalt vorbeugen.

Zusammengefasst: Überwachung, Überwachung, Überwachung total, kombiniert mit Erhöhung des Gewaltpotentials des Staates. Und das alles nur, weil ein beleidigter Gemeinderat von Facebook keine Antwort auf seinen Brief erhalten hat.

Welche Geheimnisse sind legitim? Die der Bürger oder die des Staates

Das Video "Überwachungsstaat - Was ist das?" macht nun schon seit ein paar Tagen die Runde und das ist gut so. Es sind für jede Bürgerin und für jeden Bürger, sinnvoll investierte 10 Minuten. Insbesoderen für diejenigen, die der Meinung sind, dass das alles ja kein wirkliches Problem für sie darstellt. 

Im Video wird unter anderem auch die sehr wichtige Frage aufgeworfen, warum wir so selbstverständlich der Meinung sind, dass derjenige der etwas vor dem Staat verbergen will, kein Recht dazu haben soll und es aber gleichzeitig in Ordnung ist, wenn der Staat vor seinen Bürgern Geheimnisse hat? Wer der Meinung ist, der Bürger sollte vor dem Staat ja nichts zu verbergen haben, der spricht dem allmächtigen Staat, dem Leviathan das Wort. Dabei ist es ziemlich irrelevant, ob dieser Staat demokratisch organisiert ist oder nicht. Wenn alle Macht vom Apparat aus geht, hat das Individuum nichts mehr zu berichten. 

Das Video bezieht sich zwar auf Deutschland, aber die grundsätzlichen Probleme sind in jedem Land dieselben und wir haben bei uns  auch ein paar Hausaufgaben zu machen. Die BÜPF-Revision, das neue Nachrichtendienstgesetz NDG und die Vorschläge der AGUR12 zielen alle auf den Ausbau des Überwachungsstaates in der Schweiz.

Es ist doch ganz einfach so, dass Überwachung die Menschenwürde nicht respektiert und wir alleine deswegen eine andere Politik anstreben müssen.

Zum Thema "Überwachung" gibt es übrigens, organisiert vom Dock18 einen Schreibwettbewerbmit einer Preissumme von CHF 2500.--. (Disclosure: Die besten Beiträge werden von meinem Verlag buch & netz publiziert)

Überwachung respektiert die Würde des Menschen nicht

Fotolia_49105537_XS.jpg

"Was ist das Grundlegende Problem der digitalen Überwachung?", hat Philippe Wampfler gestern via Twitter gefragt und danach einen lesenswerten Blogpost dazu verfasst.

Ich sehe das Problem in erster Linie ethisch:

Der Mensch ist ein entscheidungsfähiges, handelndes Individuum. Er darf nicht als blosses Mittel zum Zweck angesehen werden. Das heisst, niemand hat das Recht, Menschen als reine Objekte zu nutzen (Kant).

Überwachung, wie sie auch ausgestaltet sein mag, verstösst immer gegen dieses ethische Prinzip. Ob ein Ehemann seine Ehefrau überwacht, ob ein Manager seine Mitarbeiter überwacht, oder ob der Staat seine Bürger überwacht. In jedem einzelnen Fall steht dahinter eine Verletzung der Menschenwürde. Der Überwachte wird zum Mittel zum Zweck degradiert.

Dies alleine sollte bereits genügen, um sich klar zu machen, dass Überwachung grundsätzlich nicht zu rechtfertigen ist.

Überwachung kann zwar demokratisch legitimiert sein, aber sie wird trotzdem nicht richtig sein und darum ist es unsere Pflicht dagegen aufzubegehren. Genauso wie wir Sklaverei, Folter oder die Todesstrafe nicht akzeptieren dürfen.

Es ist zwar richtig, wie Philippe Wampfler in seinem Beitrag schreibt, dass unsere Systeme nach Daten verlangen. Aber Daten zu speichern und auszuwerten ist noch lange nicht Überwachung, vor allem dann, wenn ich selbst darüber entscheiden kann, ob und wem ich meine Daten zur Verfügung stelle.

Google kann zwar zum Beispiel meine Suchanfragen nutzen, um mir andere Suchresultate zu zeigen. Dabei findet aber keine Überwachung in dem Sinne statt. Ich kann jederzeit entscheiden, ob ich Google oder z.B. duckduckgo.com benutze. Ich kann auch wenn ich Google nutze, entscheiden, ob ich meine Suchanfragen speichern will. Und selbst wenn ich das tue, ist es immer noch nicht Überwachung solange Google diese Daten so nutzt, wie sie mir versprochen haben sie zu nutzen. Das Problem entsteht erst wenn der Staat oder jemand anders sich, ohne mein Einverständnis dieser Daten bemächtigt und mich in meiner Würde verletzt indem er mich zum Objekt degradiert.

Das Problem liegt nicht am Internet, sondern an den Menschen die sich nicht nach diesem ethischen Prinzip verhalten. Seien dies nun Politiker, die den Auftrag geben, Beamte die ihn Ausführen oder Unternehmensmanager die sich nicht fragen, was sie tun, solange die Zahlen stimmen. 

Wir können und müssen in unserer Gesellschaft ganz einfach einfordern, dass insbesondere die Demokratischen Strukturen so konzipiert sind, dass solche Verletzungen der Menschenwürde nicht akzeptiert sind.

In der Schweiz geht es zum Beispiel derzeit darum die Revision des BÜPF und das neue Nachrichtendienstgesetz (NDG), sowie die Überwachungsvorschläge der AGUR12 zurückzuweisen.

Zum Thema "Überwachung" gibt es übrigens, organisiert vom Dock18 einen Schreibwettbewerb mit einer Preissumme von CHF 2500.--. (Disclosure: Die besten Beiträge werden von meinem Verlag buch & netz publiziert)

(Bild: © beeboys - Fotolia.com) 

Wir sind nicht schutzlos ausgeliefert - Lasst uns Hippies sein!

Fotolia_52828772_XS.jpg

Eines der vielen Essays, die derzeit die Welt überziehen, und davon erzählen, dass die Utopie des freien und offenen Netzes naiv gewesen sei und dass diese nach den Enthüllungen von Edward Snowden nun endgültig begraben werden können, schliesst mit der Aussage, dass wir "der Aufmerksamkeit der Datensammler" schutzlos ausgeliefert sind (Dr. Tilman Baumgärtel, NZZ print/epaper, 3. Juli 2013, S. 45, Webpaper Guest-Link).

Diese Aussage ist schlicht falsch und zeugt von einem staatsbürgerlichen Selbstverständnis, welches uns weiterhin Sklaven halten liesse, wäre eine solche Grundhaltung die letzten 300 Jahre von allen Bürgern geteilt worden.

Erstens ist es nicht falsch, sich eine bessere Welt vorzustellen und diese gestalten zu wollen, auch im Wissen darüber, dass es Ansichtssache sein kann, was denn eine bessere Welt sein soll.

Zweitens ist es immer noch so, auch wenn es zunehmend schwieriger wird, daran zu glauben, dass wir, die Menschen in demokratischen Ländern, die Möglichkeit haben, die Politik zu gestalten.

Es wäre ein grosser Fehler, die Ideale des offenen Netzes aufzugeben, nur weil sich die Überwachungsfanatiker in den letzten Jahren klammheimlich haben durchsetzen können. Und deswegen das Netz zu verteufeln und sich quasi davon zu verabschieden, oder sich in Alternativ-Netze zu verkrichen, käme einer vorzeitigen Kapitualtion gleich.

Denen, die im Netz eine noch nie dagewesene Möglichkeit zur Emanzipation der Menschen und zur Schaffung einer freieren und gerechteren Welt sehen, vorzuwerfen, sie seien naive Hippies, ist ziemlich einfach, aber leider oft sehr wirksam. Es braucht allerdings nicht viel rhetorisches Geschick, andere lächerlich zu machen, doch deutet dies meistens auf fehlende Argumente und moralische Schwäche hin.

Es mag zwar so sein, dass die Welt und die Menschen nicht einfach "nur" gut sind, was den Netz- und anderen Hippies aller Zeiten als elementare Fehleinschätzung vorgeworfen wird. Aber das Gegenteil trifft auch nicht zu. Die Welt und die Menschen sind nicht "nur" schlecht. Wir können eben beides sein. Wir können uns entscheiden. Wir können für unser Handeln Verantwortung übernehmen. Darum ist es absolut legitim, sich die Frage zu stellen, ob wir unsere Politik, sprich die Art und Weise wie die Gesellschaft organisiert sein soll, auf das Gute oder auf das Schlechte im Menschen ausrichten sollen.

Ich bin klar der Meinung, dass wir uns auf das Gute im  Menschen, auf die Empathiefähigkeit und das Vermögen moralische Urteile fällen zu können, konzentrieren sollten. Das ist nicht naiv, sondern das einzig Richtige. Ohne diese Haltung gäbe es keinen sozialen Fortschritt in der Gesellschaft. Nur weil es immer wieder Menschen gegeben hat, die an das Gute in uns geglaubt haben und die sich eine bessere Gesellschaft haben vorstellen können, sind  wir heute da, wo wir sind. Und bei aller berechtigten Kritik an unserer gesellschaftlicher Situation, in den letzten 300 Jahren wurde viel erreicht.

Es ist wie gesagt einfach, sich zurückzulehnen und zu behaupten, die Welt ist schlecht und wer etwas anderes sieht, ist selber schuld, wenn er daran leidet. Diese Haltung, wenn sie auch von einigen geteilt wird, bringt uns aber in eine moralische Abwärtsspirale. Weil die Menschen schlecht seien, müssen wir sie überwachen und bespitzeln und immer auf der Hut sein. In der Konsequenz heisst diese Haltung, dass wir uns auf einen permanenten Kampf eines jeden gegen jede einrichten müssen, oder den totalen Staat, den Hobbesschen Leviathan, herbeiwünschen sollen, um dies zu verhindern.

Es gibt aber im Leben immer mehrere Alternativen, auch wenn es heute zunehmend en vogue ist, zu behaupten, dass es keine gäbe. Wir können die politischen Strukturen einer Gesellschaft auch so gestalten, dass sie das Gute im Menschen fördern. Die Kommunikationsinfrastruktur kann so reguliert werden, dass sie der Gesellschaft und damit allen Menschen dient, oder so, dass sie nur einer bestimmten Gruppe, z.B. der Kapitalelite, oder der politischen Führungselite dient. Wir haben die Wahl, wir können uns entscheiden, wir können führen, wir können gestalten.

Natürlich ist mir auch klar, dass wir in der Schweiz oder in Deutschland nicht direkt die Politik der USA oder anderer Länder bestimmen können. Und auch ist mir klar, dass wir in einer globalisierten Welt internationalen Rahmenbedingungen ausgesetzt sind.  Doch Rahmenbedingungen gibt es immer. Wir müssen unser Leben und unsere Umgebung immer den Rahmenbedingungen anpassen, bzw. damit leben, dass gewisse Veränderungen lange dauern. Doch das heisst doch nicht, dass wir einfach alles, was falsch läuft, hinnehmen müssen. Wir haben Spielraum und der ist immer auch viel grösser, als wir jeweils annehmen.

In der Schweiz steht derzeit zum Beispiel vieles, was mit der Frage der Gestaltung der Internet-Infrastruktur zu tun hat, auf der politischen Agenda. So sind eine Revision des Gesetztes zur Überwachung des Fernmeldewesens (BÜPF) auf der Traktandenliste , welche den Überwachungsstaat massiv ausbauen will, gleichzeitig wird in einer Arbeitsgruppe zum Urheberrecht (AGUR12) über den Aufbau einer Zensurinfrastruktur diskutiert und der Schweizerische Nachrichtendienst will sich durch ein neues Nachrichtendienstgesetzt (NDG) ähnliche Rechte verschaffen, wie wir sie gerade in den USA kritisieren.

Erstaunlicherweise macht sich nur wenig Opposition zu diesen Vorhaben bemerkbar. Es scheint, als wären wir paralysiert ob der schieren Menge der Angriffe auf unsere Freiheit. Wo sind die liberalen Werte der FDP geblieben, wo sind die freiheitlichen und staatskritischen Ansprüche der SP gelandet? Einzig die Grünen setzen sich derzeit, neben den Piraten, ernsthaft mit dem Thema Netzpolitik auseinander. Wie kann es sein, dass nahezu die komplette politische und wirtschaftliche Elite in diesem Lande, bei solchen Fragen einfach mit Achselzucken reagiert und jeden Gestaltungswillen verloren zu haben scheint. Was ist mit Aktivisten aus der Zeit der Fichen-Affäre geschehen, die heute in den Direktionen der Amtsstuben und den politischen Führungsgremien sitzen? Wo sind all die Hippies nur geblieben?

Nein, wir sind nicht schutzlos ausgeliefert, wie das der Autor des oben erwähnten Essays suggeriert. Wir, die in demokratischen Staaten leben, können, auch wenn sie bereits auf dem Weg zur Postdemokratie sind, anders entscheiden. Wir müssen nur wollen.

Für die Schweiz hiesse dies: Nein zum Überwachungsstaat, und damit komplettes versenken der BÜPF-Revision und des Gesetzes zum Nachrichtendienst. Auflösung der AGUR12, die, wie sich gezeigt hat, nichts anderes vor hat, als eine Netzzensur-Infrastruktur in der Schweiz zu etablieren und deren Glaubwürdigkeit durch die einseitige Zusammensetzung nicht gegeben ist, sowie der Festschreibung der Netzneutralität in der Verfassung, damit wir nicht vor vollendete Tatsachen gestellt werden, wie dies in Deutschland und in anderen Ländern der Fall ist.

Diese drei einfachen Punkten könnten jederzeit in der Schweiz umgesetzt werden. Wir hätten zwar dann noch nicht eine bessere Welt geschaffen, aber auf jeden Fall eine schlechtere verhindert.

Derzeit gefordert sind natürlich in erster Linie die politischen Akteure, unsere Vertreter in den Parlamenten und Behörden. Doch diese Fragen gehen uns alle an. Wir sind dazu verpflichtet uns damit auseinander zu setzen und gegenüber unseren gewählten Stellvertretern klar zu machen, was wir von Ihnen erwarten und wenn nötig, unsere direkt demokratischen Mittel zu nutzen.

Nein, wir sind nicht schutzlos ausgeliefert. Lasst uns Hippies sein und die Welt verbessern. Weg mit der BÜPF-Revision und dem NDG, weg mit der AGUR12, Netzneutralität in die Verfassung.

(Bild: © leszekglasner - Fotolia.com) 

Wie man heutzutage sein verlorenes oder geklautes Notebook zurückholt

notebookchains.jpg

Stephan Meier* ist ein Geek. Der Schweizer lebt seit 10 Jahren in Rom. Doch aufgrund eines Todesfalles in seiner Familie, ist er während der Festtage nicht wie sonst üblich in die Skiferien gefahren, sondern hat sich im Raum Zürich bei seiner Verwandtschaft aufgehalten.

Am 31. Dezember ist er mit seiner Partnerin unterwegs in Richtung Toggenburg und lässt beim Umsteigen seine Tasche mit Notebook, Pass und weiteren Dokumenten in der S-Bahn nach Rapperswil liegen.

Als er seinen Verlust bemerkt, versucht er noch am Silvesterabend mit der Polizei, der Bahnpolizei und den SBB Kontakt aufzunehmen, was ihm allerdings nicht gelingt. Die Stellen sind entweder nicht erreichbar, oder verweisen auf die nächste Woche.

Doch wie gesagt, Stephan Meier ist ein Geek und hat für solche Fälle vorgesorgt: Seit Februar 2009 ist eine Software mit dem Namen Prey auf seinem Notebook installiert.

Prey ist eine Art Trojaner für den Eigengebrauch. Ein kleiner Softwareagent, der im Hintergrund darauf wartet aufgeweckt zu werden, um bei Bedarf Standort und andere Informationen des Gerätes an den Besitzer zu übermitteln.

Wenn man den Verlust seines Computers feststellt, logt man sich einfach bei seinem Prey Control Panel ein, und setzt den Status auf "Missing". Sobald das Device, es kann ein Notebook, ein Tablet oder ein Mobile Phone sein, ans Netz geht, wird nach Möglichkeit ein Photo mit der eingebauten Kamera gemacht, und alle nützlichen Netzwerk und Standortinformationen an das Control Panel übermittelt.

Hier im Demo Video von Prey seht Ihr wie das funktionert:

Stephan stellt also sein Notebook auf "Missing", und noch in der Silvesternacht um 02:10h hat sich der neue "Besitzer" das Gerät offenbar mal etwas genauer angesehen:

preypicture.jpg

Das Bild habe ich hier "aus Gründen" ;-) verpixelt, aber ich kann Euch versichern, dass die Person im Originalbild sehr gut zu erkennen wäre.

Neben dem Bild hat Stephan auch die Information erhalten in welcher Gemeinde (inkl. Kartenausschnitt) und mit welcher IP Adresse das Gerät, im wahrsten Sinne des Wortes, ins Netz ging. Ja sogar wie das W-Lan hies, dass der "Finder" nutzte.

Gleich am morgen früh, fährt Stephan in besagte Gemeinde und macht sich auf die Suche nach dem Wi-Fi Netz, über welches sein Notebook das letzte mal online war. Dabei findet er zwar interessante Netzwerke wie "Mittelerde" oder "Jesus lebt", nur das gesuchte nicht.

Als nächstes analysiert er die IP Adresse und stellt fest, dass es sich um einen Cablecom Anschluss handelt. Nun schreibt er eine E-Mail an seine "alten" Freunde und Kollegen in der Schweiz mit der bitte, über Verbindungen zur Cablecom die Strasse, die zu dieser IP Adresse passt, zu erhalten. 

Mich hätte das äusserst erstaunt, wenn er so an die Adressdaten gekommen wäre und es hätte mir auch Sorge bereitet. Einer der Angeschriebenen pflegt zwar tatsächlich Kontakte zu Mitarbeitern der Cablecom, aber niemand hat die Daten herausgerückt, trotz viel Verständnis für die Sitation des Betroffenen; und das ist auch gut und richtig so. 

Also erstattet Stephan Anzeige beim Polizeiposten der betroffenen Gemeinde. Der bearbeitende Polizist ist beeindruckt von der Fülle der Informationen, die ihm vorgelegt werden und meint aber, dass es Wochen gehen wird, bis er via Staatsanwaltschaft bei Cablecom die Herausgabe der Adresse bewirken kann, und dass danach das Notebook als Beweisstück, wohl bis zum Abschluss des Falles, zurückbehalten würde. 

Bereits am anderen Morgen erfährt Stephan aber auf dem Latrinenweg, dass die offizielle Anfrage bei der Cablecom bereits eingetroffen und schon in Bearbeitung sei. Der Polizist ist einigermassen erstaunt, diese Tatsache vom "Opfer" zu erfahren ;-). Aber nach ein paar Stunden findet die Durchsuchung statt, und die vemisste Tasche mit Notebook, Pass, usw. konnte sichergestellt werden. Zu guter letzt willigte auch noch die Staatsanwältin ein, die "Beweisstücke" freizugeben und Stephan kann morgen nach Rom zurück fahren, als ob nichts geschehen wäre.

Interessantes Detail am Rande: Gemäss Aussage des bearbeitenden Wachmeisters konnte die Polizei keine Personendatenfeststellung beantragen, da mit dem Notebook keine Straftat begangen wurde, sondern musste eine Überwachungsmassnahme anordnen, und zwar mit der Begründung, dass sich auf dem Notebook sensible Geschäftsdaten befinden, mit denen Unfug betrieben werden könnte. BÜPF/VÜPF lässt grüssen. Soviel dazu, dass die Überwachung nur bei besonders schweren Delikten (PDF) zum tragen kommen soll.

Tja, ich freue mich für Stephan Meier, dass er seine Tasche mit Pass, Dokumenten und Notebook wieder gefunden hat und ich werde wohl auch mal Prey auf meinen Devices installieren. Ich bin beruhigt, dass bei Cableom nicht einfach über die Hintertüre Personendaten zu IP Adressen geholt werden können. Wie einfach aber offenbar Überwachungsmassnahmen angeordnet werden können, erstaunt mich allerdings schon und bereitet mir auch etwas Kopfzerbrechen. Ich würde wohl auch wollen, dass die Staatsgewalt alles unternimmt, mir mein Notebook wieder zu beschaffen, wenn ich schon so nahe daran bin. Aber eigentlich sollte die Polizei in einem solchen Falle vom Provider die Adressdaten zur IP Adresse erhalten und nicht eine Überwachung des Netzwerkes anordnen müssen. Wenn dies offenbar bereits für solche "Kleinigkeiten" geschieht, müssen wir uns nicht wundern, das die Statistik soviele Fälle ausweisst.

*Name geändert, der richtige Name ist mir bekannt.

(Bild: © Maxim_Kazmin - Fotolia.com)

BÜPF Revision - Überwachungsstaat: Die Schweiz will Identifizierung der Internet-Benutzer

Das Bundesgesetz betreffend die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (BÜPF) aus dem Jahre 2000 soll überarbeitet werden. Die Revision ist seit kurzem in der Vernehmlassung.

Ich habe früher schon mal erwähnt, dass bereits die 2000er Version dieses Gesetzes und insbesondere der darauf folgenden Verordnung, ein eigentliches Problem darstellt.

Was nun hier zur Debatte steht, schlägt allerdings alles bis jetzt da gewesene. Ich habe die Vorlage zwar erst überflogen, doch hier mal ein erstes Schmankerl davon, was uns erwartet:

Der Internet Provider soll uns jederzeit Identifizieren können.

Art. 22 Identifizierung von Internet-Benutzern
Die Personen, die Überwachungen des Fernmeldeverkehrs nach diesem Gesetz durchführen, müssen die nötigen technischen Vorkehren treffen, um die Personen identifizieren zu können, die über ihre Vermittlung Zugang zum Internet erhalten.
Für mich bedeutet dieser Artikel, dass die SuisseID in Zukunft nötig sein werden könnte, um überhaupt ins Internet zu kommen. Nur so, kann ein Provider, meines Erachtens das Erfordernis des Art 22. erfüllen.
 

Es sieht nun leider fast so aus, dass meine Befürchtungen betr. SuisseID und was eigentlich dahinter steckt, eben doch nicht so daneben waren.

Der vorgeschlagene Gesetzestext kann hier eingesehen werden (PDF).
Ich bin nun gespannt, wie Vernehmlassungsantworten aussehen werden und wie die Piraten Partei Schweiz reagiert, die ja so wie aussieht nicht offiziell zu Adressaten für die Vernehmlassung gehören (Adressatenliste PDF).
Auf jeden Fall ist die Aussage in der offiziellen Pressemitteilung der Bundesbehörden ein Hohn, dass das Gesetzt nicht mehr, sondern nur bessere Überwachung mit sich bringe.
Diese Gesetztesrevision gehört wohl als Ganzes gebodigt, wir dürfen uns nicht einmal auf Details einlassen. Einfach weg damit. Das vorgeschlagene BÜPF ist ein Angriff auf unsere Bürgerrechte und darf auf keinen Fall so in Kraft treten.