Wie das Urheberrecht die kulturellen Werke des 20. Jahrhunderts zum Verschwinden bringt

Die Befürworter eines strengen Urheberrechtsregimes mit langer Schutzdauer, so wie es sich heute darstellt und weiter verschärft werden soll, bringen neben vielen anderen oft auch folgendes Argument in die Debatte: Nur eine lange Schutzdauer kann sicherstellen, dass Werke auch veröffentlicht bleiben.

Als jemand, der sich mit kulturellen Produktionen beschäftigt, stelle ich allerdings fast täglich fest, dass insbesondere Nichenproduktionen sehr schnell von der Bildfläche verschwinden und dann aufgrund des Urheberrechtsschutzes, der bis 70 Jahre nach dem Tod des Autors anhält, nie mehr publiziert werden. So ist zum Beispiel mehr oder weniger das komplette Filmschaffen der Schweiz des 20. Jahrhunderts für die breite Öffentlichkeit nicht zugänglich. Es gibt offenbar keine oder zuwenige ökonomische Interessen, die Spiel- und Dokumentarfilme, aber auch die Radio- und TV-Produktionen digital zu verwerten, bzw. es ist, aufgrund der Rechtesituation schlicht zu aufwändig. Dasselbe gilt leider auch für die meisten Bücher und Musikaufnahmen.

Ich spreche hier nicht von HD-Läppli Filmen oder von Krokus-Alben, sondern von den vielen kleinen, bei der Erstveröffentlichung vielleicht weniger erfolgreichen Werken, die längst vergessen sind, aber einen unschätzbaren Wert für das Verständnis der jeweiligen Zeit darstellen. Jedes Werk, egal wie intensiv die Rezeption bei der Erstveröffentlichung war, stellt eine erhaltenswürdige Quelle zur Zeitgeschichte dar. Die Früchte menschlicher Kulturarbeit sind das Einzige was übrigbleibt, und bilden damit die wichtigsten Tore zu unserer Vergangenheit.

Erstmals wird nun durch eine interessante Studie auch empirisch belegt, was ich und viele andere seit langem intuitiv wahrnehmen: Das heutige Urheberrecht bringt Werke vor allem schnell wieder zum Verschwinden und sorgt nicht dafür, dass diese möglichst lange verfügbar bleiben. (How Copyright Makes Books and Music Disappear (and How Secondary Liability Rules Help Resurrect Old Songs, Paul J. Heald, 2013)

Heald schreibt im Abstract:

Copyright correlates significantly with the disappearance of works rather than with their availability. Shortly after works are created and proprietized, they tend to disappear from public view only to reappear in significantly increased numbers when they fall into the public domain and lose their owners.

Er zeigt, dass heute mehr als doppelt soviele Bücher aus dem Jahre 1890 verfügbar sind, als Bücher aus dem Jahre 1950, obwohl 1950 viel mehr Buchtitel als 1890 publiziert wurden.

In der Studie wird auch auf die Situation in der Musikbranche eingegangen und er kommt auch dort zum selben Schluss: 

In short, copyright seems to make both books and songs disappear.

Es ist nun natürlich so, dass dieser Effekt, insbesondere von der Content-Industrie, gewollt ist. Es herrscht die Meinung vor, dass es gut ist, wenn "das alte Zeugs" nicht verfügbar ist, denn auch jedes Stück Inhalt aus der Vergangenheit buhlt natürlich auch um das rare Gut Aufmerksamkeit.

Ich denke dagegen, dass es für die Autoren der Werke schleicht ist, wenn ihre Produktionen nicht verfügbar sind und es ist für die Gesellschaft schlecht, wenn sie sich nicht oder nur sehr eingeschränkt mit ihrer Vergangenheit auseinandersetzen kann.

Wir sollten darum die Schutzfristen des Urheberrechtes massiv verkürzen. Von heute 70 Jahre nach dem Tod des Autors, was völlig absurd ist, auf maximal 10 Jahre nach der Erstveröffentlichung des Werkes.

(Bild: © olly - Fotolia.com)

Bald keine neuen redaktionellen Websites mehr?

Ausschnitt Tages Anzeiger vom 23.11.2010 (S.45)Diese SDA Meldung, heute zufälligerweise im Tagi gefunden, hat meine Aufmerksamkeit beansprucht. Es seien kaum noch Neueintritte in den Markt für redaktionelle Online Medien möglich, heisst da am Schluss.

Das ist natürlich starker Tobak, und es verwundert nicht, dass eine solche Pressemitteilung, die einzig der Ankurbelung des Verkaufs einer teuren Marktstudie dient, von den sogenannten Qualitätsmedien verbreitet wird.

Bei dieser Mediareports Prognos “Studie” handelt es sich um einen typischen Business Report, der teuer verkauft wird und nicht etwa um eine wissenschaftliche Arbeit, deren Aussagen und Annahmen von einer kritischen Öffentlichkeit überprüft werden könnten.

Da ich natürlich nicht bereit bin, mehr als 4000 CHF auszugeben um zu verstehen, was an den Aussagen dran ist, belasse ich es damit, zu behaupten, dass da sehr wahrscheinlich Bullshit drin steht. Vordigitale Massenmedien-Denke unter nicht Berücksichtigung des “Long Tails” lautet meine vorläufige Ferndiagnose.

 

Facebook bringt schlechte Schulnoten, oder auch nicht.

"Facebook schadet dem Schulerfolg" meldet der Tages Anzeiger bzw. Newsnetz online und beruft sich dabei auf eine Studie der "US-Universität Ohio". Dieselbe Geschichte ist auch an anderen Orten im Web zu finden, wie zum Beispiel bei der Times Online oder bei CNet.

Die Basis für alle diese Artikel scheint diese Mitteilung der Ohio State University zu sein.

Sehen wir einmal davon ab, dass wir keinerlei wirklichen Informationen über den Inhalt und die Auswertung des Fragebogens vorfinden und wenden uns dem Inhalt dieser Mitteilung zu.

We can’t say that use of Facebook leads to lower grades and less studying – but we did find a relationship there,” said Aryn Karpinski, co-author of the study and a doctoral student in education at Ohio State University.

können wir gleich im dritten Absatz unübersehbar lesen: "Wir können nicht sagen, dass die Nutzung von Facebook zu tieferen Noten oder weniger Studienzeit führen, aber wir haben eine Beziehung gefunden."

Weiter unten im Text steht geschrieben:
"Karpinski emphasized that the results don’t necessarily mean that Facebook use leads to lower grades."

Zu Deutsch: "Karpinski betont, dass die Resultat nicht notwendigerweise bedeuten, dass die Nutzung von Facebook zu tieferen Noten führe."

Sie sagt es nicht nur, sie betont es!

Das klingt beim Tages-Anzeiger Online / Newsnetz ziemlich anders: "Eine Studie bestätigt die schlimmsten Befürchtungen von Eltern und Lehrern: Studenten, die Facebook häufig nutzen, haben schlechtere Noten."

Tja, was denn jetzt? Schlechte Noten wegen Facebook oder nicht?

Keine sinnvolle Aussage machbar, dass wird das Problem sein, und weil Frau Karpinski ja doktoriert (es handelt sich um eine Frau, liebe Newsnetz Redaktion), wird sie wissen, dass sie eigentlich nichts herausgefunden hat.

Da war vielleicht einfach die PR-Abteilung der Ohio State University scharf auf eine gute Story, oder vielleicht hat Frau Kapinsiky schlicht von sich auf alle anderen geschlossen; denn wie sie gemäss Medienmitteilung sagt, habe sie keinen Facebook Account, das sei für sie zuviel Ablenkung:

For me, I think Facebook is a huge distraction,” she said.