Auch ein Internet Profi kann sich irren - Eine Replik auf Andrew Keen's Anti-Web 2.0 Aufsatz im Magazin 38/07

"Ein Internet Profi warnt", steht im Untertitel zum Magazin Artikel des Web 2.0 Kritikers Andrew Keen. Damit soll wohl suggeriert werden, dass hier nicht einfach ein frustrierter Journalist oder Verleger über die sogenannte Demokratisierung der Medien herzieht, sondern einer der weiss wovon er spricht, ein Profi eben, kein billiger Amateur.

Lassen Sie sich nicht blenden. So sehr Herr Keen ein Internet Profi sein mag, sein Artikel "Die Revolution ertränkt ihre Kinder" ist ein Konzentrat von unbelegten Behauptungen und ein Durcheinandergewirbel von Ideen, die seine Hauptthesen in keiner Art und Weise unterstützen.

Die wesentliche Aussage seines Essays kann in 2 Teile aufgespalten werden:

1) Gute Kunst gibt es nur, dank der Medienindustrie, aber diese Medienindustrie wird von der Web 2.0 Revolution zerstört.

und

2) Die Demokratisierung der Medien führt dazu dass wir nur noch mittelmässige Amateurproduzenten haben werden, die für Ihre Erzeugnisse kein Publikum finden.

Der erste Teil ist ein eigentliches Plädoyer für die Beibehaltung einer Gatekeeper-Elite. Der zweite Teil beinhaltet die klassische Kritik an der Fragmentierung der Mediekanäle.

Zur Unterstützung der ersten Behauptung schreibt Keen, dass Hichcock seine Filme ohne Finanzierung durch die Industrie nicht hätte realisieren können und dass es Bono nicht geschafft hätte eine einflussreicher Celebrity zu werden, usw.

Es ist sehr einfach so etwas zu behaupten, denn es ist nicht verifizierbar, geschweige denn falsifizierbar. Ich könnte genauso behaupten, Hitchcock hätte noch viel mehr und bessere Kunstwerke realisiert, wenn er in einer netzwerkartigen Wirtschaftsstruktur, wie sie sich vielleicht in Zukunft entwickelt, hätte arbeiten können. Die Entwicklung des Betriebssystemes Linux, eine ähnlich komplexe Herausforderung wie die Produktion eines Filmes, zeigt, dass es sehr wohl möglich ist, solche Vorhaben in Netzwerken zu realisieren. Aber wir werden leider nie herausfinden, wer nun recht hat. Darum sollten wir auf Aussagen dieser Art verzichten, wenn wir etwas untermauern möchten.

Keens erste These, dass es gute Kunst nur dank der Medienindustrie gibt, ist meines Erachtens nicht haltbar. Er schreibt ja selber, dass diese Medienindustrie, wie wir sie kennen, erst ein wenig mehr als hundert Jahre alt ist. Selbst wenn wir da noch grosszügiger sind als er, und die Erfindung des Buchdruckes als Beginn des Medienzeitalters deklarieren, müssen wir doch zugeben, dass es auch viele Jahrhunderte vorher grossartige Kunstwerke in allen Sparten des kulturellen Schaffens gegeben hat.

Ohne Zweifel, hat auch die Medienindustrie fantastische Kunst hervorgebracht. Deswegen davon auszugehen, dass nur eine solche Industrie, Garant für die Entwicklung und Verbreitung kultureller Glanzleistungen sein kann, ist definitiv nicht korrekt.

Vor allem aber: wie oft haben die Gatekeepers in ihrer Beurteilung von gut und schlecht schon versagt? Es gibt unzählige Beispiele von Autoren, Musikern, Filmemachern, usw. die erst durch die Publikation ihrer Werke im Eigenverlag eine Möglichkeit gefunden haben, diese einer Öffentlichkeit zu präsentieren. Im Nachhinein, wurden und werden sie dann wie Helden gefeiert.

Das ist genau das Problem an der Elitegläubigkeit. Niemand ist unfehlbar und gerade bei Kunst bzw. kulturellen Erzeugnissen ist es nicht möglich mit sogenannten objektiven Massstäben zu operieren. Diese gibt es schlichtweg nicht. Es gibt vielleicht so etwas wie einen intersubjektiven Konsens. Ein solcher kann aber erst durch den öffentlichen Diskurs ermittelt werden und ist definitiv zeitgeistabhängig und damit dem kontinuierlichen Wandel unterworfen.

Die Demokratisierung der Medien ermöglicht es nun aber viel besser, diesen temporären Konsens darüber was gut und was schlecht ist, zu ermitteln, weil sich die Kritik direkt durch die Kulturgeniessenden, und nicht vorgelagert durch die Gatekeepers, entwickeln kann.

Hier setzt nun der zweite Teil von Keens Hauptthese an. Er behauptet, dass es durch die Fragmentierung der Kanäle keinen Diskurs mehr geben wird. Jeder schreibt in seinem Blog und niemand liest noch andere Gedanken als die seinen.

"Blogs personalisieren den Medieninhalt, sodass wir nichts mehr lesen, was über unsere eigenen Gedanken hinausgeht".

Das Problem, nur das zu lesen bzw. zu konsumieren, was der eigenen Geisteshaltung bereits entspricht, ist tatsächlich vorhanden und auch bedeutsam. Nur hat dies überhaupt nichts mit dem Web 2.0 bzw. dem Blogphänomen zu tun.

Wer von Ihnen liest denn sowohl die WOZ wie auch die Weltwoche? Die meisten Menschen wählen die Medien die sie konsumieren, danach aus, ob diese das kommunizieren was sie bereits als richtig erachten. Die Weltwoche wird als "rechts" verschrien und darum von Linken nicht gelesen, usw.

Diese Selektion kann man nicht verhindern indem man die Kanäle verringert. Selbst wenn wir uns im Gedankenexperiment nur einen staatlichen Medienkanal vorstellen, und dort immer die verschiedenen Seiten einer Sache präsentiert würden, würde das nicht dazu führen, dass mehr Menschen kritisch denken würden. Mündigkeit kann man nicht verschreiben, für Mündigkeit muss sich der Mensch entscheiden.

Daran ändert sich nichts, ob wir nun eine elitäre Medienwelt oder eine demokratische haben. Aber für die, die sich für die Mündigkeit entschieden haben, ist eine demokratische Medienwelt die bessere, denn diese Menschen wollen keine Gatekeepers.

Es wird auch in einer Welt mit Millionen von Medienkanälen weiterhin Hits geben und Werke die herausragen (was nicht dasselbe sein muss). Es wird auch Leute geben, die für andere vorsortieren und aussondern. Es wird Menschen geben, die in ihrem eigenen Gedankensumpf ersaufen. Aber die demokratisierte Medienwelt wird den Menchen die an Dialog interessiert sind die effizienteren Möglichkeiten geben, diesen Dialog zu gestalten. Das ist die grosse Errungenschaft der Web 2.0 Bewegung und ich hoffe, nein, ich bin sicher, dass diese auch durch Kulturpessimisten wie Andrew Keen nicht mehr wegzuschreiben ist.