...weil nicht der Franken unser Maßstab ist, sondern der Mensch

Heute vor 125 Jahren ist Gottlieb Duttweiler geboren. Er war eine Art Jeff Bezos der Schweiz des frühen 20. Jahrhunderts. Denn er war zwar kaum der Erste, aber wohl damals der Erfolgreichste, der im Schweizer Detailhandel das Unternehmensmodell: "high-volume, low-margin" konsequent umgesetzt hat. Allerdings, und da liegt einer der Unterschiede zu Bezos, hat er seine Migros, dem Kapitalismus entzogen, indem er sie in den 1940er Jahren schlicht und einfach seinen Kunden geschenkt hat. Was für eine Tat!

Bei aller kritischen Distanz, die man gegenüber jedem Grossunternehmen, und damit auch gegenüber der Migros wahren muss, bleibt der Umstand, dass es sich dabei um eine Genossenschaft handelt, ein wichtiger mildernder Faktor.

Zitate, die aus dem Kontext gerissen werden und dann noch aus einer anderen Zeit stammen, stehen natürlich immer auf tönernen Füssen. Und wir können uns Dutti und seiner Denkweise nur annähern indem wir auch seine Zeit mitberücksichtigen.

Insbesondere die Art und Weise, wie die christliche Religion in der Zeit der Gründung der Migros, über die Jahre der Entbehrungen des zweiten Weltkriegs, bis in die späten 1960er Jahre die schweizerische Gesellschaft geprägt hat, muss berücksichtigt werden, um sowohl seine Handlungen als auch die Äusserungen seiner Kritiker zu verstehen.

Duttweiler hat den einzelnen Menschen mit seinen Herausforderungen, seinen Freuden und seinen Leiden in das Zentrum seiner Weltanschaung und seines Wirkens gestellt. Wir, die wir in einer individualistischen, von Kritkern gar hedonistischen Welt genannt, leben, können uns nicht vorstellen, wie stark seine Fokusierung auf den Einzelnen, der persönliche soziale Verantwortung trägt, mit dem Weltbild, das von einer Mischung aus kleinbürgerlich-christlich-konservativem, auf der einen, sowie einem sozialistisch angehauchtem Kollektivismus auf der anderen Seite, geprägt war, kollidierte. 

Er wurde als Bedrohung wahrgenommen, nicht nur vom Kleingewerbe, sondern von allen, die ein Welt- und Menschenbild pflegten, welches den Einzelnen, den bestehenden gesellschaftlichen Strukturen untergeordnet sieht. Er war im Bezug auf seinen Individualismus, ein früher Hippie, auch wenn er diese Zeit gar nicht mehr erlebt hat. Er stellte grundsätzlich jedes bestehende Machtgefüge in Frage und nicht zuletzt darum, hatte er sowohl die Rechte als auch die Linke gegen sich. Natürlich war er kein Anarchist, und er selbst schien eine Art natürliche Autorität ausgestrahlt zu haben, die auch ihn immer wieder zur Machtausübung verleitet zu haben mag.

Aber, und das ist, was ihn auch für unsere Zeit vorbildlich macht: Er glaubte an das Gute im Menschen und daran, dass den Menschen zu dienen bedeutet, die weniger Begüterten zu befähigen und nicht, sie zu bemuttern.

Hier nun das Zitat, welches den Titel dieses Beitrages spendete:

«Man versteht unsere Rechnung nicht, weil nicht der Franken unser Masstab ist, sondern der Mensch. Die Leidenschaft zu dienen, findet reichlicheren Lohn als die Sucht zu verdienen...» (Aus der Festschrift der Migros zu ihrem dreissigjährigen Bestehen, 1955)

(Disclosure: Meine Lebenspartnerin ist Mitarbeiterin der Migros)

(Bild: © GDI)

Altersbeschränkung im Kino, Sackgebühr und Kantönligeist

Unsere Gesellschaften sind durch Pluralität und Diversität gekennzeichnet sind. Trotzdem versuchen wir dauernd Konformität herzustellen. Auf der einen Seite halten wir hoch, dass wir Menschen mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen integrieren können, und gleichzeitig wollen wir immer mehr Regeln auf alle Menschen angewandt wissen.

Keine Regelung kann der individuellen Situation des einzelnen Menschen gerecht werden. Das Alter, ab wann z.B. ein Film im Kino zugänglich sein darf, ist völlig willkürlich. Gerade im Teenager-Alter gibt es sehr grosse Unterschiede im Bezug auf die geistige Reife eines Menschen. Dass man solche Altersgrenzen setzen will, ist das eine, dass man aber auch will, dass diese überall gleich sein sollen, führt dazu, dass nicht einmal mehr mit verschiedenen Ansichten experimentiert werden kann. In Zürich gelten vorerst noch die eigenen Regeln, zwar eher aus ökonimischen, denn aus politischen Gründen, aber immerhin.

Mit dem negativ besetzten Begriff "Kantönligeist" wird jede Individualität der Regionen platt gemacht. Immer öfter wird gefordert, dass irgendeine politische Idee, überall Geltung haben soll, vielfach auch gegen den Willen der betroffenen Bevölkerung vor Ort. So muss nun auch im Kanton Nidwalden die Sackgebühr eingeführt werden.

Ich glaube, dass das falsch ist und dass es uns besser geht, wenn wir die Verschiedenheit hochleben lassen und sie fördern. Föderalismus und Subsidiaritätsprinzip sind äusserst wichtige Grundlagen um der Demokratie eine möglichst hohe Akzeptanz in der Bevölkerung zu ermöglichen und um verschiedenen Konzepten und Ideen die Chancen zu geben, sich zu bewähren oder zu scheitern. Wenn wir schon der Meinung sind, in immer mehr private Lebensbereiche des Einzelnen eingreifen zu müssen, dann sollten wir wenigstens eine Vielfalt der Lösungen zulassen.