Böse Diener, liebe Galladé ?

Seit der Ankündigung der SP Zürich, mit Chantal Galladé zum zweiten Wahlgang gegen Ueli Maurer anzutreten,  wird von allen Seiten an die "Grösse" von Verena Diener appelliert, sich dem jungen, weltoffenen, urbanen Zürich nicht in den Weg zu stellen.

Alle politisch Interessierten, die Ueli Maurer nicht im Ständerat wollen, wünschten sich nur eine Gegenkandidatin damit wenigstens die geringe Chance besteht den SVP Präsidenten zu schlagen und damit auch das Nachrücken des vorläufig abgewählten Rechtsaussen Ulrich Schlüer zu verhindern.

Es steht also schon etwas auf dem Spiel, es geht nicht nur um die Frage ob Herr Maurer in der grossen oder der kleinen Kammer politisiert.

Darum erstaunt es umso mehr, dass die SP so vorgeprescht ist und darauf besteht Chantal Galladé nochmal antreten zu lassen.

Chantal Galladé und die SP sprechen davon durch die Position auf dem dritten Platz einen klaren Wählerauftrag zu haben. Das ist natürlich völlig aus der Luft gegriffen. Den einzigen Wählerauftrag, den man, wenn überhaupt, aus dem Resultat der Ständeratswahlen lesen kann, ist der, dass sich ein grosser Teil der Zürcher Bevölkerung eine andere Person als Ueli Maurer im Ständerat wünscht. Wenn wir die Wahlergebnisse insgesammt betrachten, darf man durchaus auch den Schluss ziehen, dass sich die Wählerinnern weniger Einfluss der SP und mehr Einfluss der ökologischen Anliegen wünschen. Wir sollten nicht vergessen, dass die SP die grosse Verliererin der Wahlen im Kanton Zürich ist, und die Grünliberalen die wichtigsten Gewinner.

Um zu sehen, dass Verena Diener eine grössere Chance gehabt hätte als Chantal Galladé braucht man nicht auf einen Expertenbericht zu warten. Eine Linke Frau Galladé ist, auch wenn sie sich noch so nach Rechts orientiert, für viele Bürgerliche der Mitte nicht wählbar. Da beissen sie dann lieber in den sauren Apfel und entscheiden sich für Ueli Maurer. Die Mitte Stimmen werden sich mit grosser Wahrscheinlichkeit auf Maurer und Galladé aufteilen und darum wird Maurer wohl gewinnen.

Für Verena Diener wären die Chancen zu gewinnen auch klein, aber immerhin grösser gewesen, denn wenn die Linke und die Grüne sie unterstützt hätten, hätte der grösste Teil der CVP und der anderen Parteien der Mitte, sowie ein beachtlicher Teil der ökologischen FDP Stimmen anvisiert werden können. Ob es gereicht hätte, ist in der Tat auch in diesem Szenario höchst unsicher, aber eben wahrscheinlicher als bei Chantal Galladé.

Jetzt aufzuschreien und von Verena Diener "Grösse" zu verlangen ist zu einfach, und kommt einer Belohnung der SP für ihr eigennütziges Verhalten gleich. Warum hat vorher niemand "Grösse" von Chantal Galladé verlangt?

Es wäre zwar nun wirklich gescheiter, wenn Frau Diener nicht mehr antreten würde, denn mit zwei Kandidatinnen ist es nahezu unmöglich die mächtige SVP Anhängerschaft zu knacken. Aber das eigentliche Bashing hat die SP und nicht GLP verdient. Die SP wird sich am 26. November auf die Schultern klopfen können, dass sie Ueli Maurer in den Ständerat und Ulrich Schlüer in den Nationalrat gehievt hat.

Das einzige was man der GLP und Frau Diener vorwerfen kann, ist, dass es wohl ein wenig naiv war zu glauben, man könne mit der SP über eine solche Frage sachlich diskutieren.

Wenn es um die Wurst geht, werden eben auch die Sozialdemokraten zu Egoisten. Da geht es nicht mehr um das zu erzielende Ergebnis, sondern um das eigene Wohlbefinden.

 

Free Burma!

Free Burma!

 

Burma, Nordkorea, Tibet, Kuba, Iran, Zimbabwe, Kaschmir, China, usw.....

Noch immer gibt es zuviele Menschen auf dieser Welt, die glauben zu wissen, was für andere Menschen gut ist. Die Konsequenz dieser Haltung bedeutet am Ende immer Gewalt gegenüber denjenigen, die es anders sehen.

"Not only do I hate violence, but I firmly believe that the fight against it is not hopeless." (Karl Popper, 1947, Quelle: Wikiquote)

Die Verluderung der Argumentationskultur

In der DRS2 Sendung "Atlas" vom 13.5.2007 zum Thema Luxemburg findet sich eine aufschlussreiche Sequenz mit und zum Luxemburgischen Premierminister Jean-Claude Juncker.

Am besten hören Sie sich die Sequenz (1 min.) hier kurz an: 

Diese kurze Minute ist beladen mit Behauptungen, transportiert sowohl durch die Journalistin wie auch durch Premierminister Juncker, wie ich sie immer wieder auch in Gesprächen im Freundeskreis höre.

Behauptung Nr.1: Linken liegt das Wohlergehen der Menschen am Herzen, Liberalen nicht.

Die Aussage im Beitrag im Wortlaut: "...dort allerdings dürfte er den linken Rand darstellen. Das Wohlergehen der Menschen liegt ihm ernsthaft am Herzen, hier spricht kein kalter Wirtschaftsliberaler." (Sprecherin im Radiobeitrag)

Der Unterschied zwischen Liberalen und Sozialisten liegt nicht darin, dass den einen das Wohlergehen der Menschen am Herzen liegt und den anderen nicht. Der Unterschied liegt vielmehr in den Ansichten darüber, mit welchen Mitteln das Wohlergehen der Menschheit realisiert werden kann.

Es handelt sich hier um eine immer wieder angewandte rhetorische Methode, nicht zum eigentlichen Thema (in diesem Falle: Wie kann das Wohlergehen der Menschheit realisiert weren) zu argumentieren, sondern den Gegener zu diskreditieren (in diesem Falle: Wirtschaftsliberale sind kalte egoisten).

Liberale Überlegungen zur Organisation unserer Gesellschaft haben genauso wie sozialistische, das Ziel, für möglichst vielen Menschen möglichst viel Glück zu erreichen. Liberale gehen dabei von der Prämisse aus, dass "Glück" eine individuelle Einschätzung ist, während bei den Sozialisten einen Vorstellung von einer "Gleichheit des Glücks" zugrunde liegt. Weiterhin liegt in der liberalen Grundhaltung die Überlegung, dass ein möglichst hoher Grad an individueller Freiheit  zu  besseren Ergebnissen führt, während die Sozialisten eher dazu tendieren die Freiheiten des Einzelnen zu gunsten des Kollektivs einzuschränken. Und als drittes Unterscheidungsmerkmal kann man erkennen, dass Liberale die Verteilung von Gut und Böse in jeder beliebig denkbaren Gesellschaftsgruppe als gleich betrachten, während die Sozialisten der Meinung sind, das Böse ist bei den Vermögenden zum Beispiel stärker vertreten als bei den weniger Vermögenden.

Es gibt für beide Denkhaltungen eine ganze Menge guter Argumente dafür oder dagegen. Diese und nur diese sollen diskutiert und beurteilt werden und nicht Aussagen über die Vertreter einer Denkrichtung.

Behauptung Nr. 2: Eine liberale Wirtschaftsordnung führt zu vielen Stellen auf Zeit.

Premierminister Juncker zählt zuerst ein paar Begriffe nebeneinander auf: "...Privatisierung, Präkarisierung, Partialisierung der Arbeitsverhältnisse..." und suggeriert damit einen Zusammenhang dieser Begriffe. Danach erklärt er diese zu "...Teufelszeug..." und garniert zum Schluss seine Aussage mit der Geschichte über seinen Vater, den Stahlarbeiter, der ihm, wenn dieser "nur immer ein befristetes Arbeitsverhältnis" gehabt hätte, kein Studium hätte finanzieren können.

Die letzte Aussage, dass sein Vater sein Studium nicht hätte finanzieren können, wenn er "..sich alle sechs monate hätte Fragen müssen, bleibe ich in Beschäftigung oder werde ich freigesetzt...", ist einfach mal so aufgestellt. Keine Fakten, die diese Behauptung unterstützen würden und aus meiner Sicht, gibt es auch keinen Grund diese als wahr zu beurteilen. Aber eigentlich ist das auch gar nicht wichtig, denn hier sehen wir eine weitere rhetorische Methode an der Arbeit: Etwas zu behaupten, was gar nicht zur Debatte steht.

Zur Diskussion steht eigentlich die Behauptung: Die veränderten und vergrösserten Kapitalströme sind dafür verantwortlich, dass in einigen, eher grossen EU Ländern, immer mehr Stellen nur auf Zeit angboten werden.

Versuchen wir diesem oft gehörten Argument einmal auf den Grund zu gehen.

Eine wichtige, oft nicht explizit ausgesprochene Aussage in diesem Zusammenhang ist, dass es frühr besser war. Auch hier in unserem Beispiel spricht Premierminister Juncker ja davon, dass sein Vater sich noch auf eine sichere Stelle habe verlassen können. Gehen wir einmal davon aus, dass diese Aussage wahr ist. Folgt nun daraus schon, dass der sogenannt "ungezähmte" Kapitalismus für die veränderte Situation von heute verantwortlich ist. Selbst wenn wir versucht sein würden, unsere Gesellschaft derart vereinfacht zu interpretieren (aus A folgt B), können wir auf keinen Fall diesen Schluss ziehen.

Die Art und Weise wie das Kapital eingesezt wird hat sich zwar in den letzen 50 Jahren massiv verändert, daneben aber auch viele andere ebenso relevante Erscheinungen. So ist die Regulierungsdichte in einem noch nie dagewesenen Masse angestiegen, das fortwährende Wirtschaftswachstum hat die Volksvermögen in der westlichen Welt explodieren lassen, die Transport- und Informationstechnologien haben zusammen mit den weltpolitischen Veränderungen die Wirtschaftskreisläufe immer globaler werden lasssen, die Automatisierung von Industrieprozessen hat viele Berufe verschwinden lassen, usw.

Es gibt nun keinen plausiblen Grund, einer einzigen dieser Erscheinungen (veränderte und grössere Kapitalströme) die Verantwortung für eine Folge (hohe Arbeitslosigkeit und viele Stellen auf Zeit in gewissen Ländern) allein zuzusprechen, ohne die anderen nicht auch in Erwägung zu ziehen.

Ich könnte zum Beispiel genauso behaupten: die Automatisierung vieler Industrieprozesse hat dazu geführt, dass vermehrt Stellen auf Zeit angeboten werden. Auf den ersten Blick eher nicht so plausibel, müsste man noch genauer analysieren.

Oder: Die fortwährende Regulierung gewisser Arbeitsmärkte, insbesondere der laufend ausgebaute Kündigungsschutz hat dazu geführt, dass Unternehmer vermehrt stellen auf Zeit anbieten. Das macht wohl schon eher Sinn, oder?

Natürlich wäre es auch hier völlig falsch, nur das eine Phänomen für die Folge der Stellen auf Zeit verantwortlich zu machen, aber mindestens könnte diese Variante genauso wahr sein, wie die von Premierminister Juncker behauptete.

Solche Erscheinungen innerhalb eines so komplexen Untersuchungsgegenstandes, wie unserer Gesellschaft, kann man nicht einfach einer einzigen Ursache zuschreiben. Es ist leider nicht so simpel. Kommt dazu, dass es überall, auch innerhalb von Europa völlig unterschiedliche Ausprägungungen dieser Phänomene gibt, abhängig davon welche Ebene wir betrachten. So ist die Situation in Deutschland eine andere als zum Beispiel in Schweden, oder die Situation in der Bergbaubranche eine andere als in der Automobilbranche, usw.

Diese beiden Beispiele anhand einer Minute Radioberichterstattung aus einer eigentlich unpolitischen, und übrigens grundsätzlich empfehlenswerten, interessanten Sendung von Schweizer Radio DRS2, sind zufällig aber exemplarisch für die Art und Weise wie wir tagtäglich mit wichtigen gesellschaftliche Fragestellungen umgehen.

Eine Verluderung der Argumentationskultur hat sich breit gemacht, bis in die höchsten Ämter. Es werden Dinge behauptet ohne diese zu begründen und es wird vor allem nicht über die eigentlichen Herausforderungen und Lösungsalternativen debattiert, sondern die ganze Energie darauf verschwendet, dem inhaltlichen Gegner, schlechte Absichten zu unterstellen. Das ist schade, dumm und wird uns nicht weiterbringen.

sapere aude
 

 

Geschichte zum Anhöhren - WDR Zeitzeichen

zeitzeichen.gifDer deutsche Radiosender WDR5 strahlt offenbar seit bald 35 Jahren ein ca. 15 Minuten langes Geschichts-Feature aus, das es in der Tat in sich hat: Zeitzeichen

Eher per Zufall habe ich die Sendung vor ein paar Monaten als Podcast abonniert und werde immer wieder von neuem überrascht und mit einer nahezu grenzenlosen Vielfältigkeit täglich historisch gefüttert.

Jeden Tag nimmt sich die Redaktion eines historischen Ereignisses des betreffenden Monatstages an und bearbeitet dieses auf höchst lehrreiche und spannenden Weise, oft mit grossem Aufwand und wo vorhanden mit vielen Originalton Dokumenten.

Die Titel der letzten Sendungen waren zum Beispiel:

  • 21. Januar 1992: Todestag des Bluespianisten Champion Jack Dupree
  • 20. Januar 1612: Todestag des deutschen Kaisers Rudolf II.
  • 19. Januar 1982: Todestag des Widerstandskämpfers Leopold Trepper
  • 18. Januar 1977: Todestag des Dramatikers Carl Zuckmayer
  • 17. Januar 1732: Geburtstag des polnischen Königs Stanislaw II.
  • 14. Januar 1957: Todestag des Schauspielers Humphrey Bogart

usw.

Wenn Sie sich für einen oder ein paar wenige Podcasts entscheiden müssen, sollte das WDR Zeitzeichen auf jeden Fall in Ihre Auswahl gehören.

 

Wenn Herr Couchepin das ernst meint, sollten die IV-Renten in der Tat überprüft werden.

In einem Interview in der NZZ vom 11. Dezember 2006 (auch online verfügbar) antwortet Bundesrat Couchepin auf die Frage ob im Rahmen der 5. IV-Revision nicht auch die bereits gesprochenen Renten von jungen Rentenbezügern nochmal überprüft werden sollten:

"Würde man alle Renten nachprüfen, wäre der Aufwand viel zu gross. Es gäbe voraussichtlich genausoviele Rentenerhöhungen wie Rentenkürzungen."

Das bedeutet ja eigentlich, dass die Verwaltung davon ausgeht, bzw. vermutet, dass es mit grosser Wahrscheinlichkeit sowohl zu hohe als auch zu niedrige Renten gibt.

Wenn das kein Grund ist, die Renten zu überprüfen und vor allem das System zu hinterfragen, dass solche Fehler wissentlich zulässt?

Ich hoffe, Herr Bundesrat Couchepin hat bei seiner Annahme nur an ein paar wenige Fehlentscheide gedacht. 

Hans Rosling on TEDTalks - Nichts ist so, wie es auf den ersten Blick zu sein scheint.

Hans Rosling zeigt in seinem Beitrag an der TED2006 wie man statistisches Material ansprechend visualisiert und wie derart aufbereitete Daten helfen die eigene Voreingenommenheit zu erkennen. Wieviel wir doch oft einfach annehmen und wie wenig wir der Sache auf den Grund zu gehen bereit sind, kommt bei diesem Video schön zu Ausdruck.

Folgende Erkenntnisse können wir aus Hans Roslings Vortrag gewinnen bzw. verfestigen:

  • Die Dinge sind meistens nicht so, wie sie uns auf den ersten Blick erscheinen mögen. Vor allem nicht so einfach.
  • Statistik kann Spass machen und auch nicht Statistikern zu Erkenntnisgewinn beitragen.
  • Verallgemeinerungen helfen nicht wirklich, wenn es darum geht reale Probleme zu analysieren. Es muss immer der Einzellfall betrachtet werden. Das machen auch die Ärtzte so und das sagt übrigens auch Jeffrey D. Sachs in seinem Buch: Das Ende der Armut

 
Das Video kann auch auf der TEDTalks Website downloaded werden. Dort gibt es auch den Link um die TEDTalks als Audio oder Videopodcasts zu abonnieren, was ich wärmstens empfehlen kann.

 

Volkssport Blocher-Bashing oder wie wir uns mit Scheinproblemen aufhalten

Er hat es wieder getan. Bundesrat Christoph Blocher hat es wieder geschafft einen grossen Teil unserer Politik- und Medienschaffenden aufzuscheuchen und sie in ihrer gemeinsamen Empörtheit zu vereinen. Seit Jahren geht das nun so und seit Herr Blocher Bundesrat ist, habe ich den Eindruck, ist es noch schlimmer geworden.

Immer derselbe Mechanismus spielt sich ab, sodass man fast zum Schluss kommen muss, dass Herr Blocher es tatsächlich fertig gebracht hat, einen Grossteil der politischen Öffentlichkeit so zu konditinionieren, dass sie einer Art allgemeiner Hysterie verfällt, sobald er sich regt.


Das gemeinsame Blocher-Bashing ist wie das ähnlich gelagerte Bush-Bashing zum Volsksport geworden. Dabei wird immer auf Mann gespielt und es werden diejenigen rhetorischen Mittel eingesetzt, die sonst immer beim Gegner kritisiert werden.

Dabei geht soviel Energie verloren, die eigentlich für die Diskussion der echten Probleme verwendet werden sollte.

Es geht doch nicht darum, wann und wo ein Bundesrat erklärt, dass er darüber nachdenkt eine allfällige Gesetzesänderung dem Gesamtbundesrat zur Diskussion vorzulegen. Sondern es geht darum, sich dann wenn die Gesestzesänderung tatsächlich zur Debatte steht, darüber systematisch und ernsthaft Gedanken zu machen um sich zu dieser Sache konstruktiv und kompetent äussern zu können.
  

Wie die Message unter die Leute kommt - Am Beispiel "Feinstaub schädigt Kinderohren"

Das ist ausnahmsweise ein sehr langer Beitrag geworden ;-)

Einleitung 

Um es gleich vorweg zu nehmen. Auch ich möchte, dass wir in einer Welt leben, in der möglichst wenig Leid geschieht und die grösstmögliche Zahl der Menschen nach ihrem Willen und ihrer Vorstellung glücklich leben können. Mit anderen Worten, auch ich finde es schlecht, wenn Kinder an Mittelohrenentzündung leiden. Warum ich diese Einleitung schreibe, wird weiter unten klar.

Wenn es jeweils darum geht, sich zu einem bestimmten Thema eine Meinung zu bilden, so sind wir in der heutigen vernetzen Medienwelt in einer aussergewöhnlich komfortablen Lage, uns einer Fülle von Quellen zu bedienen. Da wir uns aber meistens damit begnügen wollen, das bestätigt zu bekommen, was wir bereits glauben, und weil wir einfach nicht immer Lust haben, zu hinterfragen, warum wir einer bestimmten Meinung sind, setzen wir auf Autoritäten.

Autoritäten und Experten 

Diese Autoritäten sind einerseits die sogenannten seriösen Medien, zum Beispiel die NZZ oder die Süddeutsche Zeitung und andereseits die Experten und Fachorganisationen, die in den Medien zur Sprache kommen. Die Fachorganisationen nennen sich meistens Institute und erhalten dadurch einen universitären Glanz, obwohl ein Insitut noch lange nichts mit einer Universität zu tun haben muss. And diesen Instituten werden nun von den Experten Studien produziert, wie Sand am Meer.

Natürlich werden diese Studien nicht in der Tages- oder Wochenpresse abgedruck, dass würde ja niemand lesen. Es werden Artikel darüber geschrieben, und dort diese Studien, die vorher in der Fachpresse abgedruckt (oder online publiziert) wurden, zitiert.

Allerdings ist oft nicht so, dass die Journalisten diese Fachzeitschriften lesen und dann etwas entdecken, worüber sie schreiben. Vielmehr werden von den Instituten die die Studie veröffentlicht haben, Pressemitteilungen verschickt, in der Hoffnung die Tages- oder Wochenpresse schreibe darüber. Das ist wichtig für die Institute, damit die Geldgeber sehen, dass sie gearbeitet haben :-)

Diese Kombination der Autoritäten: Experte von einem Institut, zitiert in den sogenannten seriösen Medien, lässt uns glauben, dass das war wir lesen, wahr sein muss. 

Beispiel 

Schauen wir uns nun ein interessantes Beispiel an:

Sandro vom Politik Forum Ignoranz.ch hat einen Artikel bei der Süddeutschen Zeitung gelesen, der seine Aufmerksam erregt hat. Er hat einen Blog Eintrag geschrieben und auf den Artikel bei der SZ verwiesen, sowie eine besonders aussagekräftige Passage daraus zitiert. Titel des SZ Artikels "Feinstaub schädigt Kinderohren" Der Kommentar von Sandro im Blog Artikel zeigt sehr schön, dass er den Inhalt dieser Nachricht glauben schenken will.  Es geht nicht darum zu Hinterfragen ob das wahr sein könnte, sondern zu zeigen, dass es wahr sein muss, weil es in der SZ steht und schliesslich von Experten eine Studie erarbeitet wurde.

Wenn wir den SZ Artikel genauer studieren stellen wir sofort fest, dass dieser, um es gelinde auszudrücken, ziemlich dürftig ist. So wird einmal von einer Heimholz-Gesellschaft geschrieben und dann wird plötzlich ein Herr Heinrich von einer GSF zitiert. (Natürlich weiss jedes Kind, dass GSF für GSF-Forschungszentrum für Umwelt und Gesundheit in der Heimholzgesellschaft steht, wobei GSF die Abkürzung für Gesellschaft für Strahlenforschung ist :-)

Nach dem Zitat des Experten kommt ein Absatz der behauptet, dass eine moderate Zunahme der Feinstaubbelastung die Häufigkeit von Mittelohrentzündung um 24% steigert. Hier fehlen die Fakten und es werden auch keine geliefert, sondern gleich im nächsten Absatz wird einfach so getan als ob nun Fakten kämen, die diese doch wichtige Aussage unterstützen.

Es folgen aber Zahlen die nichts mit der Behauptung zu tun haben. Es wird einzig gesagt, dass bei 4000 untersuchten Kindern 35% an Mittelohrentzündung leideten. Mit der Absatzüberschrift: "Daten von mehr als 4000 Kindern" soll suggeriert werden, dass diese Erkenntnisse ja stimmen müssen, bei so vielen untersuchten Kindern. 

Auch in der SZ steht manchmal nur PR 

Und dann am Schluss des Artikels steht die Quelle: medical-tribune.de

Schauen wir uns das dort einmal an.

100% derselbe Artikel 1:1 von der SZ übernommen. (Bestimmt nicht illegal, die werden einen Vertrag haben und die Quelle war ja angegeben). Die einzigen Unterschiede liegen darin, dass bei der SZ der Artikel noch mit 2 dramatischen Bildern angereichtert und der Lead neu geschrieben wurde.

Hätte ignoranz.ch den Artikel auch so verlinkt und zitiert hätten sie ihn nur auf der medical-tribune.de gesehen, und nicht bei der Süddeutschen Zeitung? Ich wage es zu bezweifeln. Solche Meldungen auf irgendwelchen Portalen gibt es zu tausenden. Da holt man niemanden hinter dem Ofen hervor. Wenn es allerdings in der SZ steht, kann man schon was damit machen.

Wir können hier sehr schön sehen, dass das Mäntelchen eines renommierten Presserzeugnisses auf keinen Fall den Eindruck von mehr Seriösität erwecken sollte. (Bemerkung am Rande:  das sollten auch alle die professionellen Journalisten bedenken, die des öfteren von Qualitätskontrolle sprechen die bei den Bloggern im Gegensatz zu den Zeitungen fehlen soll.) 

Am besten immer das Original lesen 

Die Studie und die Pressemitteilung, die den Artikel ausgelöst hat, findet man übrigens nach ein bisschen Googeln auf der Website der besagten GFS. Wer sich die Mühe nimmt, die ganze Studie zu lesen (sind nur 5 Seiten) und nicht nur die Zusammenfassung, findet am Schluss die eigentlich wichtigsten Aussagen, neben der Beschreibung der Methoden.

Die Autoren der Studie zählen 4 "limitations" auf, die diese Studie aufweisst. Unter anderem, dass die persönlichen Schadstoffbelastungen der Kinder nur geschätzt waren und nicht gemessen usw. Sie kommen zum Schluss: "These findings indicate an association between exposure and traffic-related air pollution". "Indicate" ist meiner Meinung schon nicht dasselbe wie "nachgewiesen". Weiterhin fügen die Autoren an, dass es noch weitere Studien braucht um klare Antworten zu erhalten. Das sollte mindestens zum Denken anregen. Mehr nicht, aber auch nicht weniger.

Es geht mir nicht darum dafür zu plädieren, dass wir alles bis ins letzte Detail erforschen müssen, bevor wir Massnahmen ergreifen. Ein Hinweis auf ein mögliches Risiko kann durchaus die Grundlage sein um einen Entscheid zu fällen. Aber wir müssen uns dabei bewusst sein, dass der Entscheid falsch sein kann, wie immer übrigens.

Und wenn es um das Entscheiden geht, sollten wir uns möglichst breit informieren und hinterfragen und vor allem nicht zuviel Ehrfurcht vor Autoritäten haben, besonders wenn es Experten, Institute und Medien sind :-)

 

Was ist Aufklärung?

Man kann es einfach nicht oft genug zitieren:

"Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschliessung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! "

Immanuel Kant

Quellentext auf Wikisource 

via "Der Verwerter

Autonom ist autonom, auch beim Nachvollzug

Im Zusammenhang mit unserem Verhältnis zur Europäischen Union wird immer wieder erwähnt, dass wir uns zwar vormachten, weiterhin ein unabhängiges Land zu sein, uns aber letztlich nichts anderes übrige bliebe als das, was die EU ohne unser Zutun entscheidet nachvollziehen zu müssen. So zum Beispiel im Beitrag von Pascal Krauthammer "EU und schweizer Recht" in der DRS1 Nachrichtensendung Rendez-Vouz vom 28. August 2006.

Die Entscheidung eine EU-Richtlinie in unser Rechtssystem zu übertragen (automomer Nachvollzug) ist gemäss dieser Argumentation weniger Wert, als zum Beispiel die Entscheidung als Mitglied der Union gegen eine Vorlage zu sein und diese, vielleicht durch das eine oder andere "Zückerchen" versüsst, dann trotzdem übernehmen zu müssen, weil man zu einer Minderheit gehörte.

Ich bin da anderer Meinung, und es geht hier nicht um die Frage ob ich einen EU-Beitritt dereinst befürworten werde oder nicht (ist im Moment sowieso kein Thema).

Wir sind unbabhängiger als Nicht-Mitglied, weil wir nur so die echte Option haben, uns gegen die Übernahme von bestimmten EU-Richtlinien zu entscheiden.

Es mag zwar Gründe geben, einen Freiheitsgrad zugunsten von anderen Werten abzugeben. Es mag also gute Gründe geben, die für einen EU-Beitritt der Schweiz sprechen, aber eines ist sicher: Als EU-Mitglied verlieren wir ein Stück Entscheidungsfreiheit, welche wir heute noch haben. Egal wieviel wir autonom nachvollziehen, es bleibt autonom.